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Der Sommer der Schmetterlinge

Der Sommer der Schmetterlinge

Titel: Der Sommer der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Lisboa
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übertrieben gekleidet. Das Brautkleid verlieh ihr einen ironischen Anstrich, sie wirkte wie eine Karikatur ihrer selbst. Als wäre alles ein Scherz. Doch sie war sehr ernst hinter ihrem Lächeln, mit ihrem Kranz aus Stoffblumen und dem herrlichen Rubincollier, das Ilton Xaviers Familie gehörte, in ihrem spitzenbesetzten Kleid und den hochhackigen Schuhen, die ihre Füße quälten.
    Sie nahm an der Zeremonie teil, als wäre es die Hochzeit einer anderen. Ruhig empfing sie den Ring aus Ilton Xaviers aufgeregten Händen und versuchte, Schritt für Schritt zu rekapitulieren, wie sie an diesen Punkt gekommen war. Es gelang ihr nicht. Ihre Eltern, die Schwiegereltern, die Trauzeugen befanden sich am Rand ihres Gesichtsfeldes: fröhliche rote, blaue, gelbe und schwarze Flecke. Sie spielte, dass sie sie beobachtete, während sie ihren Blick gleichzeitig auf den Pater heftete, ohne ihn jedoch zu sehen. Sie vernahm kein einziges Wort von der Predigt. Aber sie hörte die Organistin und den Geiger Bach spielen. Die Aria sulla quarta corda – ein bisschen falsch, aber was bedeutete das schon? Danach sang eine Tante von Ilton Xavier, die blonden Haare zu einem Dutt gedreht und mit schweren, an ihren Ohrläppchen zerrenden Anhängern, das Ave Maria von Gounod.
    Das machte Clarice glücklich. Und sie war auch glücklich, als der Pater Ilton Xavier erlaubte, die Braut zu küssen (obwohl er keine Erlaubnis mehr brauchte). Sie dachte, dass die Dinge von nun an tatsächlich anders werden konnten. Für den Kuss schloss sie die Augen, wie siees die Mädchen bei Hochzeiten in amerikanischen Filmen hatte tun sehen. Doch kaum spürte sie Ilton Xaviers schon vertraute Lippen auf ihren, öffnete sie die Augen – aus Angst? Zunächst sah sie nur die Fenster der kleinen Kirche, dann bemerkte sie, wie voll von Leuten sie war. Dann blickte sie auf Otacília und Afonso Olímpio, sie erschienen ihr ungewöhnlich groß. Energisch schloss sie die Augen wieder. Aus Angst?
    Was ist die klügste Haltung, wenn man Angst hat? Die schicklichste? Die wirksamste? Die Augen verschließen oder sie öffnen? Loslassen, die Kontrolle verlieren, sich abwenden? Davonlaufen? Oder sich festklammern, sich behaupten, der Sache auf den Grund gehen, alles im Griff behalten?
    Jetzt war sie verheiratet. Clarice glaubte, das sei ein Unterschied. Und so stieg sie vom Altarraum herab und lief über den abgenutzten roten Teppich. Wie ein Schiffsbug die Wellen teilt, teilte Clarice die Menschenmenge in der Kirche in zwei Hälften.
    Bewusst teilte Clarice auch ihr Leben in zwei Hälften. Sie wollte sich selbst in dieser Teilung wiedererkennen, die das Vorher vom Nachher trennte. Und Ilton Xavier, ihr Erlöser, schritt an ihrer Seite, er, der sie liebte, weil sie keine Geheimnisse hatte.
    Am Abend nach dem Fest begegneten Otacília und Maria Inês sich in der Küche. Es war schon nach Mitternacht, und die Stille schrieb unsichtbare Fragen in den Raum. Ohne sie damit zu überraschen, sagte die Mutter zu ihrer Tochter: Jetzt müssen wir über dich reden.
    Über Maria Inês reden. Es gab keine Möglichkeit, über Maria Inês zu reden.
    Sie sagte: Ich möchte nach Rio de Janeiro gehen, vielleicht nimmt Großtante Berenice mich auf.
    Bestimmt. Wo sie doch schon Clarice aufgenommen hat.
    Selbstverständlich war Großtante Berenice gekommen, um der Hochzeit Glanz zu verleihen. Mit ihren großstädtischen Kleidern und Manieren. Mit ihren Eigenheiten einer alleinstehenden Dame. Und ihrer Allergie gegen Insektenstiche. In ihrem mit Blumen in Pastelltönen verzierten Koffer hatte sie ein edles, als unvergesslich gedachtes Geschenk mitgebracht: Sie malte sich aus, wie Clarice und ihr Mann das Christofle-Silber Jahrzehnte später ihren Enkeln zeigen und sagen würden: Das hier ist ein Geschenk unserer geliebten Großtante Berenice. Ist es nicht wundervoll? Und das war es. Wundervoll.
    Während sie zu Maria Inês sprach, ohne sie anzusehen, füllte Otacília sich am Filtergefäß aus Ton ein Glas Wasser. Eigentlich brauchten sie keinen Filter, denn ihr Leitungswasser kam aus einer Quelle. Eine übersteigerte Sorgfalt an der falschen Stelle, am falschen Gegenstand und mit gänzlich verzichtbarem, irrelevantem Ergebnis.
    Maria Inês packte die Gelegenheit beim Schopf. Wie wäre es, wenn ich im November ginge?
    Otacília schüttelte den Kopf und sagte: Dezember ist besser.
    Sie erläuterte nicht, warum. Und Maria Inês fragte nicht. Sie wollte sich keine Blöße geben. Wollte nichtbitten, sich

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