Der Sommer der Schmetterlinge
es eine leise Vorahnung gewesen. Im Haus störte die Pendeluhr die Stille und bildete einen rhythmischen Gegensatz zum Auf und Ab des Schaukelstuhls, in dem Afonso Olímpio ein in Ledergebundenes Buch las, auf dessen Rücken in Goldbuchstaben Amadis de Gaula, neu erzählt von Afonso Lopes Vieira stand. Im selben Zimmer, nicht sehr nah bei ihrem Ehemann und nicht sehr weit von ihm entfernt, bestickte Otacília ein Babyhemdchen für das Kind ihrer Cousine, das bald geboren werden sollte. Die Welt draußen sprach von anderen Dingen, wisperte. Und hatte viele, viele Stimmen.
An jenem Abend machte Maria Inês außer Sichtweite mit einigen Holzscheiten ein Feuer. Sie mochte Feuer. Dann nahm sie ein paar alte Zeitungsbogen und faltete aus ihnen Schwarze Hennen , die sich über der heißen Luft aufblähten, glühend in den Nachthimmel stiegen und, vom Wind davongetragen, in der Ferne hinabsanken. Eine dieser Schwarzen Hennen wurde weiter fortgeweht und landete gleich neben dem Bambusdickicht, genau dort, wo die ans Haus grenzende Weide anfing. Das Feuer entstand nur langsam, doch alles war so günstig: der Wind, die Trockenheit, und plötzlich ergriffen fröhliche orangefarbene Flammen den geräuschvoll zerberstenden Bambus und schlugen Maria Inês in ihren Bann. Sie blieb sitzen, wo sie war, und schaute. Schaute nur. Und lauschte den Geheimnissen, die in einer anderen Sphäre die Nacht durchtränkten.
Als Afonso Olímpio und Otacília erwachten, war ein besonders hoher Bambusstamm schon brennend auf die Wiese gestürzt.
Erst gegen Morgen konnte das Feuer unter Kontrolle gebracht werden – zehn Männer kämpften ohne Unterlass–, und von der Wiese war nicht mehr übrig als eine lange verkohlte Zunge, die eine Ewigkeit brauchte, um sich wieder zu erholen. Wahrscheinlich wandte sich Otacília in jener Nacht an ihren Mann und sagte, ohne ihn anzusehen: Du weißt, das ist alles Absicht. Die Sachen, die sie macht. Aber Afonso Olímpio antwortete nicht. Es wird Zeit, sie auch fortzuschicken, sagte Otacília. Aber Afonso Olímpio antwortete nicht.
Dann legten die Dinge eine kurze Pause ein. Sie hielten die Luft an. Die Monate, die auf jenen Winter folgten, waren noch länger und noch trübseliger als alle Winter zuvor. João Miguel begleitete seinen Vater auf dessen Reisen, denn das gehörte zu der Ausbildung, die für ihn vorgesehen war und die er ohne großen Widerspruch akzeptiert hatte. Es war klar, dass es in seiner Zukunft einen Rechtsanwalt geben würde, einen Rechtsanwalt mit einem weißen Apartment in Alto Leblon, der aus anderen als den üblichen Gründen gern nach Venedig fuhr und Tennis spielte.
Sechs Monate. Ein Jahr. Um Maria Inês herrschte eine zähe Einsamkeit, die ihr den Atem nahm. Doch sie lernte zu warten.
Als Maria Inês und ihr Cousin zweiten Grades einander wiedersahen, trug er einen lächerlichen Schnurrbart, der glücklicherweise nicht lange überdauerte. Und er wirkte viel älter.
Es geschah in der Kirche von Jabuticabais, während Ilton Xavier wie ein Grashalm zitternd am Altar aufClarice, seine Braut, wartete: in einem schönen dunklen Anzug mit weißer Nelke am Revers und einer Perle am perfekt gebundenen Knoten der grauen Krawatte.
Maria Inês fragte João Miguel nach dem Stand der Dinge.
Es geht. Ich studiere.
Sie wusste, um was für Studien es sich dabei handelte. Es waren Vorbereitungskurse für das Jurastudium. Auch er trug einen Anzug, der ihm besser stand, als Maria Inês gedacht hätte. Sie selbst hatte ein schreckliches, avocadogrünes Kleid an, das abrupt und ohne jede Raffinesse an den Knien endete, das Puffärmel hatte und ihre Schultern entstellte.
Obwohl es schon Oktober war, herrschte an diesem Spätnachmittag eine frühlingshafte Kälte. Die Wände der kleinen Kirche von Jabuticabais waren innen blau gestrichen und mit schneckenförmigen Ornamenten verziert, die einmal golden gewesen waren. An einer Ecke drang immer wieder Wasser ein, so dass sich die Decke dort vom Schimmel schwarz verfärbt hatte. Die Fenster waren eher schlicht, nicht besonders fein ausgearbeitete Mosaike, die eine Taube, eine strahlende Sonne und ein Kreuz zeigten. Auf der gegenüberliegenden Seite kehrten die Motive in anderen Farben wieder.
Die langen Bänke aus altem, nachgedunkeltem Holz waren mit weißen Margeriten und einzelnen Lilien geschmückt. Auf dem Altar stand ein großer Strauß mit gelben und weißen Blumen. Die anwesenden Damen waren fast alle übertrieben gekleidet.
Clarice war
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