Der Sommer der Schmetterlinge
Glas Wasser und begleitete Tomás in die Küche. Sie trank nicht einmal die Hälfte davon aus. Dann hielt sie das Glas eine Weile dicht vor ihre Augen und untersuchte die aufgemalten roten Erdbeeren. Dabei schielte sie ein wenig, und Tomás befiel ein unerträgliches Gefühl von Zärtlichkeit. Ein starker Schmerz packte sein Herz, und er dachte, gleich werde er einen Infarkt erleiden. Er hatte Angst, dass sie die Flügel ausbreitete und für immer davonflog.
Auf dem Weg zurück ins Wohnzimmer blieb sie an der Tür stehen und sagte: Gut, ich gehe dann mal.
Tomás regte sich nicht. Also öffnete sie selbst die Tür. Machte drei Schritte bis zum Fahrstuhl. Drückte auf den Knopf. Sah die Ziffern – 1, 2, 3, 4, 5 – auf der frischgeputzten, goldglänzenden Anzeigetafel aufleuchten. Sie stellte sich vor, wie der Pförtner, auf einer Leiter stehend, mit seinem gelben Läppchen dort gearbeitet hatte. Dann blickte sie zu Tomás, der sich noch immer nicht regte, öffnete die Fahrstuhltür, trat hinein und verabschiedete sich mit einem ungeheuer künstlichen Lächeln, einem Kaugummilächeln mit Tutti-frutti-Geschmack.
Eine ganze Weile stand Tomás noch reglos da. Länger als eine Minute, länger als zwei Minuten. Den Blick inden leeren Vorraum gerichtet, sah er die Ziffern aufleuchten und Maria Inês davontragen. Hinaus in die Welt. Hinaus aufs offene Meer. 5, 4, 3, 2, 1: Die Zählung lief rückwärts.
Maria Inês ging, aber nicht definitiv. Nach drei Monaten kam sie wieder, und sie kam regelmäßig in den folgenden zwei Jahren. Eine heimliche Maria Inês, die sich später schuldig fühlen und glauben sollte, der hübsche Paolo in Venedig sei nur eine Art Vergeltung. Senhora Maria Inês Azzopardi.
Die immer noch einem gewissen Bild von Whistler ähnelte, trotz allem.
Die Hochzeit fand im Dezember statt, nach einer so kurzen Verlobungszeit, dass sie gerade für das Verschicken der schönen Einladungen reichte. Aufgeprägte Namen. Und das rechteckige in memoriam unter den Namen ihrer Eltern und auch unter dem Namen seiner Mutter. Der vecchio Azzopardi war der einzige Überlebende und in Wirklichkeit der Einzige, der das Recht hatte, überhaupt zu irgendetwas einzuladen. Weil sie das wussten und weil sie wussten, um wen es sich handelte, antworteten die Eingeladenen mit teuren Geschenken. Und mit ihrem massiven Erscheinen.
Maria Inês und João Miguel. In der Kirche auf dem Glóriahügel. Im Unterschied zu Clarice wirkte sie nicht kostümiert. Von einem Tag auf den anderen hatte sie sich in eine ernsthafte Frau verwandelt. Ihr Kleid war perfekt, genau wie die gesamte Zeremonie und der Empfang danach.Niemand sang das Ave Maria von Gounod, aber ein Klarinettist spielte, von der Orgel begleitet, das Adagio aus Mozarts Klarinettenkonzert in A-Dur, KV 622. Alle Anwesenden fanden das ergreifend, und einer von ihnen sagte, dies sei eines der Meisterwerke des Komponisten.
Um sie bei ihrem Start ins gemeinsame Leben zu unterstützen, schenkte ihnen der vecchio Azzopardi eine Wohnung. Noch nicht in Alto Leblon, aber in Laranjeiras, Rua General Glicério, mit Blick auf eine stolze Baumgruppe. Drei Schlafzimmer: eines für das Ehepaar, eines für die künftigen Söhne und ein weiteres für die künftigen Töchter. Er schenkte ihnen außerdem die Flugtickets nach New York, wo ein Hotelzimmer in der Upper East Side eine Woche lang für sie reserviert war. Und er schenkte ihnen einen Packen Dollars, die sie dort ausgeben konnten: in den Musicalpalästen, den Theatern, den Restaurants und den Geschäften auf der Fifth Avenue. Dann drehte er den Geldhahn zu, weil er meinte, wenn man es den jungen Leuten zu leichtmache, könne man sie verderben. Könne den Teil in ihnen schwächen, der zu seiner Herausbildung der Schwierigkeiten und des Kampfes bedurfte. Als Letztes wies er João Miguel noch darauf hin, dass man ihn zwei Wochen nach der Hochzeit im Büro erwarte. Due settimane. Non dimenticare .
An einem feuchten, klebrigen Nachmittag kehrte das Mädchen von Whistler zu ihm zurück. An der linken Hand trug Maria Inês jetzt einen Ehering. Und eine neue Uhr.
Ihre frühere Rolle hatte sie endgültig hinter sich gelassen. Inzwischen führte sie einen Haushalt in der Rua General Glicério. Und steuerte ein Auto. An dem Nachmittag, an dem sie zurückkam, spürte Tomás zuerst einen Impuls, sie wieder fortzuschicken.
Aber da begann sie zu sprechen.
Sie redete eine ganze Stunde lang ohne Unterbrechung und erzählte eine Geschichte, die bis
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