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Der Sommer der Schmetterlinge

Der Sommer der Schmetterlinge

Titel: Der Sommer der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Lisboa
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sie, die Lina. Wie sie da in einem dottergelben Badeanzug im Wasser planschte. Zusammen mit ihren drei Freunden verwandelte sie trockene Blätter in Schiffchen, deren Besatzungen aus kleinen Streichholzmännchen bestanden. Zu jener Zeit war das Leben von einem beängstigenden Glück erfüllt. Einem strengen Glück, das später seinen Tribut fordern sollte.
    Dieser Moment in Clarices Leben gehörte in das Davor . Selbst in ihren schlimmsten Alpträumen konnte sie nicht ahnen, was geschehen würde. Und trotzdem war alles schon so zerbrechlich, so empfindlich wie ein loser Zahn oder der Faden einer Spinnwebe.
    Das Wasser des Flusses reichte Clarice bis zur Taille. Ihre Brüste unter dem schwarzen Badeanzug waren gewachsen und erinnerten an zwei kleine Birnen, appetitlich und reif. Es war Sommer, und in diesem Sommer wurde sie dreizehn Jahre alt. Dreizehn Sommer. Sie dachte nach und sagte laut: Wenn ich im Sommer geboren bin, werde ich in Wahrheit dreizehn Jahre und vierzehn Sommer alt. Die anderen Kinder verstanden ihre Berechnung nicht, sahen sie nur fragend an und spielten weiter. Später sammelten sie Tonerde am Ufer, und Clarice formte eine Skulptur. Es war schon nach fünf, als sie aufbrachen, und der Himmel ging in dunkles Kobaltblau über.
    Morgen ist auch noch ein Tag, sagte Clarice.
    Sie zog ihren Rock und die Bluse über den Badeanzug. Schlüpfte in die Sandalen und flatterte aufgeregt nach Hause. Wie der Schmetterling über dem Steinbruch. Ihr Vater saß im Wohnzimmer in einem senffarbenen Sessel. Ihre Mutter war in der Stadt einkaufen, die Hausangestellte hatte sie zur Unterstützung mitgenommen. Maria Inês spielte irgendwo anders mit ihrem Cousin João Miguel, den Clarice nicht mochte – und der Clarice nicht mochte. Sie betrat das Haus durch die Küche, denn ihr Haar war noch nass, und sie wollte keine Flecke auf dem Wohnzimmerboden hinterlassen. Die fügsame, zurückhaltende, demütige, wohlerzogene, höfliche, verschwiegene, anbetungswürdige Clarice.
    Sie ging auf ihr Zimmer und nahm saubere Sachen aus ihrem Schrank. Eine weiße, mit Baumwolle unterlegte Spitzenbluse. Eine gelbe Unterhose mit weißer Spitze anden Rändern. Ein Paar hellblaue Shorts, die sie wegen der gestickten Blumen am Bund liebte. Und ihre Sandalen mit den Lederriemchen.
    Ein Schmetterling flog über den Steinbruch.
    An diesem Nachmittag kam er. Ein erwachsener, ein erfahrener Mann.
    Zu einem Mädchen, das nur Mädchen sein wollte. Das nicht die geringste Absicht hatte, sich Jahre später die Pulsadern aufzuschneiden. Das nicht daran dachte, Alkoholikerin oder kokainsüchtig zu werden, sondern vielleicht Lehrerin oder Künstlerin – Bildhauerin natürlich. Eine schöne, schlanke, elegante Frau, Mutter von drei Jungen und drei Mädchen, verheiratet mit einem berühmten, gutaussehenden, Pfeife rauchenden Schriftsteller. Besitzerin von drei Dalmatinern, zwei Pudeln und einem Basset. Die mit ihrer jüngeren Schwester, einer weltbekannten Tänzerin, zum Einkaufen in die Stadt fährt. Die lacht. Die Tee trinkt. Die mit dem Flugzeug verreist.
    Der Mann kam in ihr Zimmer und setzte sie auf seinen Schoß, und sie hatte keine Angst, am Anfang, weil der Mann ihr Vater war. Sie lachten zusammen. Unterhielten sich ein bisschen. Er streichelte ihre Hände.
    Er streichelte ihre Arme. Ihre Schultern. Ihre Brüste.
    Clarice erstarrte wie das Kaninchen, das den Jäger spürt. Den Adler im Tiefflug. Sie versuchte, sich loszumachen, doch seine Umarmung war kraftvoll. Seine Lippen an ihrem Hals ließen ihr Herz rasen.
    Ihr wurde speiübel, doch aus Angst unterdrückte sie dasBedürfnis, sich zu übergeben. Die Übelkeit hielt an – bis zu jenem noch fernen Tag, an dem sie beschloss, ihren Ehemann zu verlassen, und in einem Bus von Jabuticabais nach Friburgo schaukelte.
    Die Hand dieses Mannes auf ihrer schneeweißen Brust. Auf ihrer unberührten Haut. Auf ihrem flachen Bauch. Sein widerlich schnaufender Atem und die harte Beule in seiner Hose, die wie aus dem Nichts erschien. Der Reißverschluss, den er mit der rechten Hand öffnete, während die heiße Linke etwas zwischen ihren Schenkeln suchte. Seine geschlossenen Augen. Ihre Augen starr aufgerissen wie die Augen einer Leiche.
    Die fügsame, zurückhaltende, demütige, wohlerzogene, höfliche, verschwiegene, anbetungswürdige Clarice.
    Er machte es wieder. Und wieder. Und wieder. Und in anderer Form. Eines Tages ging er so weit, sich auf sie zu legen und mit seinem Körper eines erwachsenen Mannes

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