Der Sommer der Schmetterlinge
weiße Strumpfhose und die weißen Lackschühchen. Die hellen, zart gelockten Haare. Das rosafarbene Prinzessinnenkleid. Auf einem Nachbarsitz lagen ihre Stoffpuppe und eine große Tasche, in der vermutlich Windeln und Fläschchen waren. Die Kinderfrau wiegte sich sanft wie ein Schaukelstuhl, und Eduardas Augen fielen allmählich zu.
Ihre auffällig hellen Augen.
Neben ihr saß João Miguel, den Tomás bis dahin nie persönlich getroffen hatte. Der Cousin zweiten Grades und Ehemann seiner Geliebten. Oder vielleicht mussten die Dinge in einer anderen Reihenfolge genannt werden. Die kleine Eduarda machte einen tiefen Seufzer, den Tomás zwar nicht hören konnte, den er aber aus der Bewegung ihrer Brust erriet, einer Welle, aufwärts und abwärts. Ihre Mutter, die Frau Doktor, hielt indessen das zusammengerollte Diplom wie ein Rohr in der Hand. Dort funkelte ihr prachtvoller Smaragd. Ein echter.
Mit fast schmerzhafter Zärtlichkeit bemerkte Tomás, dass ihr Bauch nach der Schwangerschaft etwas gewölbt geblieben war. Das machte ihren Körper schöner. Fassbarer. Bedauerlicherweise fassbarer. Ihre Hüften unter dem Kleid waren ebenfalls breiter geworden.
Acht Jahre. So lange dauerte dieser Wahnsinn schon. Nur weil er irgendwann einmal beschlossen hatte, sie mit einem Bild von Whistler zu vergleichen, weil er Zeichnungen von ihr gemacht und sie vom Fenster seiner Wohnung aus angesprochen hatte. Ein Mädchen. Das jetzt verheiratet war und eine Tochter, ein Diplom und einen Ring mit einem echten Smaragd hatte.
Tomás gab es auf, die Zukunft vorausahnen zu wollen. Die Zukunft war heute. Vielleicht gestern. Die Zukunft kam zu spät, oder besser gesagt, Tomás kam zu spät für die Zukunft. Denn die Zeit steht still, aber die Lebewesen leben weiter . Er blickte auf seine Uhr: zwölf Minuten nach sieben. Und Maria Inês war so schön mit diesem mütterlichen Körper, der sie in ihrem roten Kleid noch schöner aussehen ließ. Ihr Mann im Publikum, in einem marineblauen Anzug. Ihre Tochter im Publikum, eine rosafarbene Prinzessin, die in den Armen ihres Kindermädchens schlief.
Da begriff Tomás, dass diese Geschichte tot war. Um sieben Uhr und zwölf Minuten. In Gedanken sah er schemenhaft einen jungen Mann vor sich, der sich acht Jahre lang der Illusion von einer Frau hingegeben hatte. Er betrachtete den Mann namens Tomás, und er betrachtete die Frau, mit der er sich weiter traf, obwohl sie inzwischen verheiratet war, und er betrachtete das auf dem Schoß seiner Kinderfrau eingeschlafene Mädchen. Eine rosafarbene Prinzessin. Eine rote Königin. Und er, ein Froschkönig.
Ihm wurde schlecht. Etwas presste seinen Magen zusammen, und er dachte, er müsse sich an Ort und Stelleerbrechen, mitten unter den aufgereihten Gästen der Absolventenfeier der Medizinischen Fakultät. Mitten unter den Diplomrollen, den echten Smaragden und den vielen falschen Smaragden. Mitten unter den stolzgeschwellten jungen Doktoren und ihren adretten Familien. Er stand von seinem Sitz auf, quetschte sich an einigen Kniepaaren vorbei und erreichte den Gang, der aus dem Hörsaal führte. Im Gang lag ein roter Teppich. Ein roter Teppich für eine rote Königin. Tomás spürte ihren Blick im Rücken, stechend wie ein Messer, und er tat weh. Wahrscheinlich hätte er sich noch einmal umdrehen und eine Ehrenbezeigung machen müssen. Mehr oder weniger wie das Kreuzeszeichen beim Verlassen einer Kirche. Doch er drehte sich nicht um, betrachtete nicht noch einmal Maria Inês mit ihrem schönen mütterlichen Körper und die kleine Eduarda, die an der Schulter ihrer Kinderfrau schlief, sondern verließ eilig den Saal.
Das war alles. Maria Inês sah, wie sich die große Tür des Auditoriums öffnete und wieder schloss, und hörte, wie der Lärm der Stadt Tomás verschluckte. Er verließ sie, Jahre nachdem sie ihn verlassen hatte.
DREIZEHN JAHRE UND VIERZEHN SOMMER
Es war einmal ein Schmetterling, der mit seinem graziösen Flug die frische Bergluft teilte und über einem verbotenen Steinbruch tanzte, wo sich graue Eidechsen in der Sonne wärmten. Auf seiner üblichen Strecke konnte er zu der einen Seite eine verlassene Fazenda und ein Haus sehen, auf dessen Dach Pflanzen wucherten. Zur anderen eine bewohnte Fazenda, Tiere, klein wie Spielzeug, auf der Weide und einen Fluss, der einem langen goldenen Band glich.
Am Ufer dieses Flusses spielten vier Kinder: Clarice, Casimiro, Damião und Lina, sie war die älteste. Ihr Haar glänzte in der Sonne, hübsch war
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