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Der Sommer der Schmetterlinge

Der Sommer der Schmetterlinge

Titel: Der Sommer der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Lisboa
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in ihren Mädchenkörper einzudringen. Dabei hatte sie den Geschmack von Blut im Mund, denn sie biss sich mit aller Kraft auf die Lippen. Voller Angst. Voller Hass. Seine Hände, die ihre Schenkel mit solcher Gewalt packten, dass dort hinterher blaue Flecke entstanden. Seine Zunge, die das Innere ihrer Ohren besudelte, ihre bleichen Lippen leckte und so in ihrem Mund herumstöberte, dass kein Geheimnis heil blieb. Dass kein Traum heil blieb.
    Wieder und wieder und wieder. Bis Otacília sie mit ihren beiden Koffern in ein Taxi setzte und fortschickte. Zu spät.
    Als Afonso Olímpio ihr Zimmer verließ, weinte Claricenicht. Sie ging ins Bad. Übergab sich nicht. Wusch sich ein zweites Mal. Etwas war unhörbar in ihr zerbrochen. Sie selbst war in ihr zerbrochen, ihre Seele in ihrem Körper. Die Clarice in Clarice. Sie fühlte sich so substanzlos, dass sie mit einer einzigen Träne hätte sterben, hätte davonfließen können wie das Wasser im Abfluss der Dusche.
    Kurze Zeit darauf kam das Schuldgefühl. Natürlich. Logischerweise. Sie musste etwas getan haben, dass ihr Vater sich so verhielt. Nicht, dass die Sache eine Strafe war, nein, unter keinen Umständen. Aber vielleicht eine Antwort? So wie Otacílias kalte Augen auch eine Art Antwort sein mussten? Zwangsläufig? Nie fand sie eine Erklärung. Und lebte von nun an gezeichnet, als schriebe ihr jeder Überfall des Vaters ein Mal auf die Haut. Ein Brandzeichen.
    Otacília wusste, was in ihrem Haus, in ihrer Familie vor sich ging. Lange bevor sie die Haltung einnahm, die sie einnahm.
    Und niemand sagte auch nur ein einziges Wort.
    Maria Inês verschüttete ihre kostbaren Zypressenzapfen und ergriff die Flucht, an dem Tag, an dem sie die beiden im Schlafzimmer erblickte. Den Mann. Das Mädchen. Ihren Vater. Ihre Schwester.
    Clarice.
    Fügsam, zurückhaltend, demütig, wohlerzogen, höflich, verschwiegen.
    Anbetungswürdig.

JUNIFEIER
    In dem entscheidenden Moment, als sie sah, wie ihr eigener Vater Clarice entkleidete, an ihrer Brustspitze drehte, als zöge er eine Armbanduhr auf, und sein Gesicht in ihre Haare grub, wurde in Maria Inês der Keim für etwas gelegt, das ihren Blick in Brand setzen sollte.
    Sie hatte einen Schatz in den Händen getragen, und er war zu Boden gefallen und hatte sich aufgelöst. Nie wieder konnte sie an den Wert einer Handvoll Zypressenzapfen glauben. Ihre Gedanken wurden zu Mitteln des Krieges. Schnell. Ruhelos. Getarnt, bis an die Zähne bewaffnet und auf alles vorbereitet. So gut es ging, ordnete Maria Inês im begrenzten Raum ihrer neun Jahre die Wirklichkeit. Öffnete Schubfächer. Schloss Schubfächer. Warf alte Sachen weg und ebenfalls neue, denn obwohl sie neu waren, passten sie ihr nicht mehr. Von einem Tag auf den anderen: wie durch Zauberei. Als ob sie am Morgen aufwachte und ihre Füße plötzlich Größe sechsunddreißig hätten und sie alle Schuhe loswerden müsste, auch die schönsten, auch die ungetragenen Importballerinas. Sie machte einige Türen auf und andere zu und verriegelte wieder andere sorgfältig. Versiegelte Fenster mit Nägeln und Holzstücken und deckte Löcher mit Isolierband ab. Bastelte sich Masken, als übte sie für die Bühne. Sogarihre Spiele wurden ernsthaft. Nachdenkliche Spiele, denen es an Leichtigkeit fehlte.
    Zu der Zeit war Maria Inês erst neun. Sie hatte nicht viele Möglichkeiten, und sie wusste es. Auch sie verschwieg die Worte, die zu verschweigen die anderen beschlossen hatten. Allerdings übertrat sie damals noch sehr bereitwillig Verbote. Sie fühlte sich lebendiger dadurch. Und es nährte in ihrem Innersten jenen flammenden Blick.
    Maria Inês wartete.
    Sie sah Clarice an dem Morgen, an dem man Lina am Straßenrand gefunden hatte, mit einem Taxi nach Rio de Janeiro abfahren. Und flehte innerlich: Bitte, bleib am Leben .
    Afonso Olímpio versuchte nie, sich Maria Inês zu nähern. Er tat, als bemerkte er sie nicht. Doch in Wahrheit fürchtete er seine zweite Tochter wie den Leibhaftigen. Und Maria Inês verhielt sich in diesen Tagen auch wie der Teufel. Mit Absicht, denn die beste Verteidigung bestand immer schon im Angriff.
    Clarice überlebte. Ging nach Rio de Janeiro, besuchte eine Weile das Gymnasium. Kehrte auf direktem Weg an den Altar der kleinen Kirche von Jabuticabais zurück. Dann verschlimmerte sich Otacílias Krankheit, und sie starb. Im Verlauf des darauffolgenden Jahres gelangte Maria Inês’ teuflischer Blick zur Reife. Das Produkt einer erlesenen Ernte. Auf einem

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