Der Sommer der Schmetterlinge
sternenlosen Himmel, und ihre Zöpfe schaukelten in der Luft. Mit der linken Hand hielt sie den Strohhut auf ihrem Kopf fest. An diesem Abend war Maria Inês glücklich. Clarice beobachtete sie, sah, wie der orangefarbeneFeuerschein sich auf ihrem Gesicht und in ihren Augen spiegelte.
Als die letzten Gäste den Garten hinter dem Haus von Ilton Xaviers Eltern verließen, herrschte bereits tiefe Nacht. Die Bediensteten lasen die überall verstreuten Pappteller und Plastikbecher auf. Ilton Xavier scharrte sicherheitshalber mit den Schuhen etwas Erde zusammen und schaufelte sie über das tote Feuer. Damit es schön tot blieb. Er trat neben Clarice.
Kommst du?
Gleich.
Sie sah zu ihrer Schwester, und Ilton Xavier verstand, dass sie einen Moment allein sein wollten, und obwohl es schon ziemlich spät war und das Thermometer nur zehn Grad zeigte, sagte er nichts.
Maria Inês saß auf einer niedrigen Steinmauer, ihre verstaubten Lackschuhe berührten leicht den Boden. Clarice ging auf sie zu, drehte sich noch einmal um und sah die letzte Angestellte in der Dunkelheit entschwinden. In der Nähe hörte man die Rufe von Eulen und die Geräusche anderer Nachtvögel. Eine große Weide ließ ihre traurigen Zweige über leise plätscherndes Wasser hängen.
Clarice legte den Arm um Maria Inês, doch sie sahen sich nicht an. Sprachen nicht. Reglos saßen sie dicht beieinander in der sternenlosen Nacht, die Lippen blau vor Kälte, die Gesichter vor Kälte brennend. Die Augen auf den Berg gerichtet, hinter dem das Haus ihrer Kindheit lag, das Haus von Otacília und Afonso Olímpio. Wo die Dinge im Verborgenen geschahen. Wo er allein war, derVater, schlaflos und betrunken, die Augen auf den Berg gerichtet, hinter dem seine Töchter ihn mit ihren Gedanken riefen – wie zwei Hexen.
Die schwarze Messe fand am nächsten Tag statt. Maria Inês erwachte spät und mit Kopfschmerzen, lächelte aber, als sie feststellte, dass sie nicht ins Bett gepinkelt hatte. Sie war im Gästezimmer untergebracht, das sich neben dem Zimmer befand, in dem ihre Schwester und Ilton Xavier schliefen. Sie betrachtete ihr Gesicht im ovalen Spiegel der Frisierkommode. Nahm die Haarbürste, ergriff mit derselben Hand die Wasserkaraffe und füllte ein Glas halbvoll. Dann suchte sie in ihrer Waschtasche nach einem Schmerzmittel. Sie stellte sich vor den Spiegel und bürstete langsam ihre Haare. Schließlich zog sie einen Morgenmantel über ihren Flanellpyjama und ging ins Wohnzimmer, wo der Frühstückstisch bereits gedeckt war und auf sie wartete.
Clarices Schwiegervater saß an der Stirnseite des Tisches, gänzlich zufrieden mit seiner Rolle als Großer Patriarch, den Schnurrbart gekämmt und die langen Schaftstiefel blankgeputzt. So wie jemand anderes vielleicht den Autoschlüssel ablegen würde, hatte er auf dem Tisch die Lederpeitsche abgelegt, die er beim Reiten benutzte.
Du bist spät aufgestanden, sagte er. Ich war schon im Stall und danach in Jabuticabais Kerosin kaufen, und jetzt bin ich zurück und nehme mein zweites Frühstück zu mir.
Wir sind gestern erst nach Mitternacht schlafen gegangen. Ich bin mit Kopfschmerzen aufgewacht.
Möchtest du eine Tablette?
Danke, ich habe schon eine genommen.
Kaffee hilft gegen Kopfschmerzen. Trink ein bisschen.
Sie redeten über Belanglosigkeiten. Maria Inês sah, dass sich seine Lippen unter dem üppigen grauen Schnurrbart kaum bewegten. Als die Uhr zehn schlug, erhob er sich, beweglich, athletisch, und sagte: Du musst mich entschuldigen, bis zum Mittag habe ich noch einen Haufen Dinge zu erledigen.
Später entschloss sich Maria Inês, nach Clarice zu suchen. Sie war seltsamerweise an diesem Morgen noch nicht aufgetaucht. In der Küche traf sie die Schwiegermutter und einige Dienstmädchen an und fragte: Haben Sie Clarice heute schon gesehen?
Ja, das habe ich. Sie hat gesagt, dass sie einen Spaziergang machen wolle. Sie ist die Straße entlanggegangen. Ich glaube, sie wollte zum Haus eures Vaters.
Mit Ilton Xavier?
Nein, er musste zur Kooperative. Sie ist allein gegangen.
Maria Inês bedankte sich und verließ die Küche. Sie war ganz ruhig. Durchquerte das Herrenhaus von einem Ende zum anderen und hörte, wie ihre Schritte auf den Holzdielen ein trockenes Klopfen erzeugten. Sie lief die fünf Stufen in den Garten hinunter, nahm dann den Weg zur Fernstraße. Der Himmel war bewölkt, aber es sah nicht nach Regen aus. An der Straße bog sie in die Richtung ab, die zum Haus ihres Vaters führte. Aber
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