Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)
noch Eis!«, rief meine Mutter von drinnen. Glockenhell schallte ihre Stimme über die Terrasse. Mr Schönling Strandfreund musste ihr etwas bedeutet haben, wenn sie so theatralisch und affektiert tat. Sie nannte Dad niemals »Christopher«, es sei denn, sie wollte ein Publikum beeindrucken.
Stirnrunzelnd zog ich meine Strickjacke enger um mich zusammen. Ich sah Dad vor mir, wie er sich mit gezwungenem Lächeln unter die High Society mischte. Das war nicht seine Welt. Meine auch nicht. Mama dagegen war unter Leuten wie Shep Gardner ganz in ihrem Element.
Die See kräuselte sich und wurde grau, als der Wind auffrischte. Hinter den Dünen hervor drang ein klingelndes Windspiel-Lachen – Beth, unverkennbar, die wahrscheinlich Schnapsgläser mit Wodka aus ihrem und Corinnes geheimem Vorrat hinausgeschmuggelt hatte. Von der Vorderveranda her hörte ich ein bullerndes Lachen – mein Onkel.
Und hier saß ich: allein, ohne einen Drink in der Hand, die einzige, die nicht versuchte, der kalten Realität einen freundlicheren Anstrich zu verpassen. Seitdem Jake mich verlassen hatte, hatte ich dem Alkohol abgeschworen. Ich hatte noch nie viel getrunken. Jake dagegen betrank sich regelmäßig auf Partys und überließ es mir, ihn wieder einigermaßen auszunüchtern. Das fehlte mir nicht. Nein, vielmehr vermisste ich sein Lachen. Den Geruch seines T-Shirts. Die Berührung seiner Hände, wenn er sie mir um die Taille legte.
Ich schloss die Augen, denn plötzlich hatte ich einen Kloß im Hals und war den Tränen nah. Ein kleiner Rausch wäre jetzt genau das Richtige gewesen, etwas, was die Erinnerungen weggewaschen hätte, die mich wie eine Monsterwelle überkamen, wenn ich am wenigsten mit ihnen rechnete. Aber ich blieb reglos sitzen.
Ich war stark. Auch wenn ich mich schwach fühlte.
Am nächsten Morgen wurde ich unfreiwillig Zeugin einer Unterhaltung zwischen Corinne und meiner Tante. Sie hielten sich in der Küche auf, diskutierten mit gereizten Stimmen und hörten nicht, wie ich über die Veranda von einem frühen Strandspaziergang nach Hause kam. »Die Hauptsache für dich ist Mia«, sagte meine Tante, und ich hielt abrupt inne. »Du solltest sie in alles, was du tust, miteinbeziehen.«
»Ach, halt den Mund!«, fuhr Corinne ihre Mutter an.
Ich wartete darauf, dass meine Tante sie zurechtwies. Wenn ich zu meiner Mutter gesagt hätte, sie solle den Mund halten, hätte sie mir den Kopf abgerissen. Doch Kathleen sagte nichts. »Sie ist anders als ich«, fuhr Corinne fort. »Sie ist … ich weiß nicht … irgendwie unsicher.«
»Vielleicht ist sie unsicher, weil ihr sie links liegen lasst.«
»Hör doch auf«, murrte Corinne. »Mia geht’s gut, auch wenn ich ihr nicht ständig Händchen halte. Sie kann auf sich selbst aufpassen.«
Keine Sorge – das werde ich von jetzt auch tun. Mir kamen die Tränen, als ich die Härte in Corinnes Stimme hörte.
»Was ist nur mit dir los?«, fragte Kathleen eisig. Ich erstarrte und vergaß für den Moment meinen verletzten Stolz. Ich hatte meine Tante noch nie derart frostig mit ihren Töchtern reden hören – fast grenzte es an Abscheu. »Du bist unglaublich egoistisch. Ist dir das klar?«
»Vergiss es, Mama«, erwiderte Corinne, und ihre Worte fielen wie Backsteine in die stille Morgenluft. »Ich bin genau wie du, das weißt du genau. Du bist auch nicht gerade Mutter Teresa, und wir beide wissen genau, was ich meine.«
Und genau in dem Moment spürten sie meine Anwesenheit. Oder sahen meinen Schatten. Irgendetwas machte sie auf mich aufmerksam. Denn plötzlich ertönte ein rasches Flüstern. Ertappt trat ich in die Küche und tat so, als hätte ich nichts gehört, obwohl mir das Herz bis zum Hals schlug und mein Gesicht verräterisch glühte. Toll! Jetzt hielt mich Corinne nicht nur für eine Versagerin, sondern auch noch für eine heimliche Lauscherin. Dieser Zwischenfall würde unser Verhältnis noch lange überschatten.
»Mimi!«, rief Tante Kathleen, strahlte mich liebevoll an und hielt ihren Kaffeebecher hoch. »Möchtest du eine Tasse Kaffee? Onkel Rufus steht gleich auf und backt seine berühmten Himbeerpfannkuchen zum Frühstück.«
»Ja, klar«, brachte ich hervor. Corinne schenkte mir lächelnd eine Tasse ein, und Kathleen holte vor sich hin summend die Eier aus dem Kühlschrank. Und ich stand da und erwiderte ihr Lächeln. Plötzlich war ich eine genauso gute Schauspielerin wie sie. Obwohl meine Tante Corinne meinetwegen zur Rede gestellt hatte – aus
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