Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)
durchsetzen konnte – nicht, solange meine Cousinen und Gen das Sagen hatten. Ein Blick auf Evas engelsgleiches Lächeln, und ich wusste, dass sie es wusste. Es gab nicht den Hauch einer Chance, dass die Hexe im roten Kleid ins Bett gehen würde, wenn ich es sagte.
»Viel Spaß«, wünschte mir Dad und umarmte mich. »Du siehst wunderschön aus.«
»Danke, Dad.«
»Behalte einen kühlen Kopf in diesem Hühnerstall«, fügte er flüsternd hinzu, »und deine Kleider an.«
»Ich werd’s versuchen«, antwortete ich lachend, als wir uns aus unserer Umarmung lösten. Wenn mir ein Mensch auf der ganzen Welt zutiefst vertraut war, dann mein Vater. Doch als ich meinen Eltern zum Abschied zuwinkte, war ich mir plötzlich nicht mehr sicher. Irgendwie war alles seltsam aus dem Gleichgewicht geraten. Nicht, dass ich irgendetwas Verrücktes vorhatte, aber ich war nicht ich selbst, und als ich beobachtete, wie meine Eltern von der Dunkelheit verschluckt wurden, lief es mir merkwürdig kalt den Rücken hinunter.
Unwillkürlich dachte ich an mein Zuhause in Athens, die grüne, von Glyzinien umrankte Eingangstür. Ich war so froh gewesen, wegzukommen, raus aus der Stadt, und das Elend meiner gescheiterten Beziehung zurückzulassen. Doch jetzt überfiel mich Heimweh.
»Juchuu! Sie sind weg!«, quietschte Corinne, als sie, Beth und Gen die Treppe hinuntergeschlendert kamen. Sie waren angezogen, als wären sie auf dem Weg in den Untergrund-Club irgendeines Rockstars: winzige Nichts von Tops, schwarze Lederhosen und dazu Pfennigabsätze, so dünn wie Radioantennen und fast genauso lang.
Und da stand ich nun: die reine Jungfrau in meinem weißen Gewand, umgeben von Sirenen. Gelächter vom Band, bitte.
»Du siehst … frisch aus«, sagte Gen, während sie mein Kleid musterte. Ich fühlte mich nicht mehr elegant, sondern wie eine Kuriosität aus dem 19. Jahrhundert. Was hatte ich mir bloß dabei gedacht? Ich blickte an meinem albernen Aufzug hinunter, von dem ich geglaubt hatte, er sei narrensicher: schlicht und gut geschnitten, einen Hauch glamourös durch die Perlen. Doch jetzt erkannte ich, dass das für New York genau das Falsche war. Unglücklich starrte ich auf den perlenbesetzten Saum meines Dekolletés. Ich sah aus wie einer der Lampenschirme in der Zimmerecke.
»Ich dachte, wir … würden uns schick machen.« Warum tat sich nie ein Abgrund vor einem auf und verschluckte einen, wenn man es wirklich brauchte? »Ich sollte mich wohl lieber umziehen.« Nicht, dass ich etwas zum Umziehen mitgehabt hätte. Nichts, was auch nur annähernd so sexy wie die Outfits der anderen gewesen wäre, und selbst wenn ich etwas besessen hätte, hätte ich es nicht tragen können.
»Nein, bleib so, du siehst süß aus!«, zirpte Corinne und schüttelte ihr goldenes Haar, das zu ihrem pastellfarbenen Ledertop passte und einen aufregenden Kontrast zur schwarzen Lederhose bildete. Sie sah gestylt und natürlich zugleich aus. Ich dagegen sah offenbar »süß« aus. Ich blickte erst auf meine Sandalen hinunter und dann hinüber zu Corinnes Stilettos. Es liegen Welten zwischen Billigkaufhaus und Prada.
»O mein Gott! Aram ist gekommen!«, flüsterte mir Corinne ins Ohr, als ein Typ mit welligen langen Haaren in die Diele trat und Gen zur Begrüßung umarmte. Hinter ihm trat ein wunderschönes dunkelhäutiges Mädchen durch die Tür.
»Ivory?«, zischte Corinne unterdrückt und flüsterte stocksauer: »Ich dachte, die würde den ganzen Sommer über modeln.« Doch sie erholte sich rasch und marschierte auf die drei zu. »Hey«, begrüßte sie Aram beiläufig, »ich bin Corinne Drexel. Und wer bist du?«
Aram, der Sohn des berühmten Designers, war genauso schön wie seine Freundin. Laut Gen stammte sein Vater aus dem Iran »oder aus der Türkei oder so«. Aram trug Shorts und ein T-Shirt mit Loch. Sein langes, wirres Haar war so sonnengebleicht, dass es schon ins Orange spielte. Dazu hatte er riesige, kohlschwarze Katzenaugen und einen schlanken, muskulösen Körper. Gerade die Tatsache, dass er sich nicht in Schale geworfen hatte, machte ihn umso cooler. Nicht nur ich und die anderen fanden das, sondern offenbar auch er selbst.
Neben ihm war natürlich nur die Crème de la Crème der jungen Hamptons-Gesellschaft eingeladen. Die Party war kein Großereignis, dazu war sie viel zu exklusiv. Die Gäste bestanden aus Sprösslingen von Modezaren, Medienmogulen, Aufsichtsratsvorsitzenden und Kunsthändlern sowie den Anwälten von Medienmogulen,
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