Der Sommer der Toten
nicht zu nahe kommen wollen.“
„Ach ja, Mr. Oberschlau?“ So langsam wurde der Bulle wirklich unsachlich. „Und was bringt Sie zu dieser Erkenntnis?“
„Erfahrungswerte.“ Klaus ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Wir prügeln uns schon seit einigen Tagen mit lebenden Toten herum. Die haben Bärenkräfte und würden Ihnen ohne Anstrengung sämtliche Rippen brechen. Aber wenn Sie die in Ruhe lassen, sind sie harmlos. Zumindest bis jetzt.“
Der Polizist blickte Klaus an, als habe der nicht mehr alle Trassen im Schrank. Aber er sagte nichts.
Es wäre auch schwierig gewesen, bei allem, was bisher passiert war, zu behaupten, dass es Derartiges gar nicht geben kann.
Es war eindeutig, dass der Polizist hin und her gerissen war. Zum einen wollte er Klaus einen Rüffel verpassen, weil er solch einen Blödsinn erzählte, traute auf der anderen Seite aber seiner Wahrnehmung nicht mehr, weil exakt dieser Blödsinn zur gleichen Zeit direkt vor seinen Augen passierte.
„Was schlagen Sie stattdessen vor?“, fragte indessen der andere Polizist, der wohl etwas mehr zur Sachlichkeit neigte.
„Das wird Ihnen nicht gefallen“, antwortete Klaus mit resigniertem Tonfall. „Lassen Sie sie laufen. Eine andere Möglichkeit haben Sie nicht.“
„Aber ... aber das geht doch nicht ...“, stammelte Frau Seibert hilflos. „Das sind alte Menschen und wir sind verpflichtet, ihnen zu helfen und ...“
„Das sind tote Menschen“, unterbrach Klaus. „Ihre Verpflichtung ist mit deren Tod wohl erloschen. Sie können nichts tun. Aufhalten lassen sie sich nicht. Und was möchten Sie sonst machen. Die Köpfe herunterschießen, wie in Dawn of the Dead ?“
„Das ... das ist doch barbarisch!“, empörte sich die Leiterin.
„Eben“, entgegnete Klaus. „Sie können nur eines machen: Warten was passiert.“
14.
Das Krankenhaus war bestimmt nicht das größte, das Bianca kannte. Genaugenommen war es sogar recht klein. Es versorgte auch nur eine Ansammlung von kleinen Kuhkäffern und stand bei der Kommunalverwaltung auch schon auf der Abschussliste. Um Gelder zu sparen, sollte dieses Krankenhaus geschlossen werden, und wer wirklich mal medizinische Versorgung benötigte, sollte dann halt in den saueren Apfel beißen und in das fast sechzig Kilometer entfernte Bezirkskrankenhaus fahren.
Schwachsinnsideen von irgendwelchen praxisfremden bürokratischen Sesselfurzern standen allerdings nicht auf dem Besuchsprogramm, das Bianca gerade zu absolvieren gedachte.
Im Moment hatte sie das Problem, Kellermann überhaupt zu finden. Aus dem Zimmer, in dem sie ihn zuletzt besucht hatten, war er verschwunden. Die diensthabende Schwester teilte ihnen mit, dass er auf die Intensivstation verlegt worden war.
Als sie endlich die Intensivstation gefunden hatten, mussten sie all ihr diplomatisches Geschick aufwenden, um überhaupt zu Kellermann vorgelassen zu werden.
Als sie ihn sahen, konnten sie die zurückhaltende Reaktion der Ärzte und Schwestern verstehen. Kellermann sah erbärmlich aus.
Seine Haut war kreidebleich und wirkte irgendwie wächsern. Niemand vermochte genau zu sagen, ob Kellermann schlief, wach war oder ob er gar im Koma lag.
Überall aus seinem Körper ragten Schläuche und Kabel. Gleich aus drei Infusionen bekam er Antibiotika in den Körper gepumpt. Ein EKG-Gerät zeichnete seine Herztätigkeit auf. Bianca beobachtete den Monitor eine Zeitlang und rümpfte schließlich die Nase.
Kellermann atmete flach und röchelnd. Seine Lippen waren spröde und trocken. Sein Gesicht war eingefallen, sodass er fast schon wie ein Skelett wirkte.
„Oh Mann, der sieht wirklich Scheiße aus“, bemerkte Anna wenig taktvoll.
Bianca maß sie mit einem Seitenblick, der schwer zu deuten war. Dann ging sie auf das Bett des Polizisten zu.
Kellermann war wach. Erst als Bianca neben ihm auf einem der Besucherstühle Platz nahm, erkannte sie, dass er ihr Kommen bemerkt hatte. Er drehte seinen Kopf zu ihr. Doch selbst diese triviale Bewegung schien ihm erhebliche Anstrengungen abzuverlangen.
„Hallo“, grüßte Bianca.
Kellermann grüßte zurück, indem er wortlos ein Nicken andeutete.
„Ich habe erfahren, dass es Ihnen schlecht geht“, erklärte Bianca. „Daher habe ich gedacht, ich schaue mal kurz vorbei.“
Kellermann antwortete wiederum nicht, machte aber mit einem Augenblinzeln deutlich, dass er sich freute, sie zu sehen.
„Ich hoffe nur, dass es Ihnen bald wieder besser geht“, setzte Bianca hilflos nach.
Sie
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