Der Sommer der Toten
merkte, dass sie zunehmend gegen die aufsteigenden Tränen ankämpfen musste. So tough, wie sie es gerne hätte, war sie nun also doch nicht. Und so scheißegal, wie sie immer glaubte, war ihr Kellermann auch nicht.
Kellermann indessen lächelte matt und schüttelte leicht mit dem Kopf.
Widerwillig bemerkte Bianca, dass nun doch eine verstohlene Träne an ihrer Wange herablief.
„Zu ... spät ...“, röchelte Kellermann. „Habe nicht mehr lang ...“
„Was? Wie ...?“ Bianca wirkte verstört.
„Geht zurück ... Nur das Opfer kann alle retten ...“ Kellermann starrte sie eindringlich an. Eben so eindringlich, wie er es noch vermochte.
„Opfer?“ Bianca war abgrundtief verwirrt. „Was für ein Opfer?“
„Damit ...“ Kellermann raffte sichtlich alle Kraftreserven zusammen. „Damit die Lebenden zu den Lebenden kommen und die Toten ...“, Kellermann holte röchelnd tief Luft, „... und die Toten zu den Toten, muss einer zu den anderen gehen ... So ... so steht es geschrieben ...“
„Geschrieben?“ Bianca blickte Anna ratlos an. „Geschieben? Wo steht was geschrieben.“
Kellermann blickte Bianca an. Es schien, als setze er an, noch etwas zu sagen, doch plötzlich spielte das EKG-Gerät unter lautem Piepsen verrückt und ehe Bianca reagieren konnte, musste sie beobachten, wie Kellermanns Augen glasig wurden und das EKG-Gerät mit einem hochfrequenten Dauerton signalisierte, dass der Exitus eingetreten war.
Wahrscheinlich durch das am EKG-Gerät gekoppelte Alarmsystem gewarntes Pflegepersonal stürmte in den Raum. Bianca wich rasch zur Seite, um die Pfleger und Ärzte nicht zu behindern. Sie erkannte, dass die Leute relativ schnell ihre Bemühungen einstellten. Die Ersten gingen relativ bald wieder und zum Schluss waren nur noch zwei Schwestern übrig.
Die eine schaltete die Überwachungs- und Lebenserhaltungssysteme aus, während die andere alle Schläuche und Elektroden entfernte und Kellermanns Leichnam letztlich mit einem Tuch abdeckte.
Bianca stand wie betäubt da und sah den Schwestern bei ihrer Arbeit zu. Erst als eine der Schwestern sie direkt ansprach und ihr herzliches Beileid aussprach, erwachte sie aus ihrer Erstarrung.
Abrupt machte Bianca auf ihrem Absatz kehrt und rauschte aus dem Zimmer. Anna sah kurz die Schwestern an und zuckte hilflos mit den Schultern, dann verließ sie ebenfalls den Raum, um Bianca zu folgen. Sie musste fast schon rennen, um Bianca, die wie von Furien gehetzt über den Krankenhausflur in Richtung Ausgang lief, einholen zu können.
„Hey, jetzt warte doch mal!“, rief Anna hinter ihr her, doch Bianca schien ihre Worte gar nicht zur Kenntnis zu nehmen.
Erst als Bianca das Gebäude verlassen hatte, blieb sie stehen und atmete tief durch.
Leicht abgehetzt schloss auch Anna zu ihr auf.
„Was ist denn nur los?“, fragte Anna.
„Ich musste da raus“, erklärte Bianca mit einem leicht entschuldigenden Blick. „Tut mir leid, aber ich hatte das Gefühl, ich würde da drin irre werden. Keine Ahnung, was grad mit mir los war.“
„Es wird schon seinen Grund gehabt haben“, erklärte Anna lapidar. „Ich meine, nach dem, was bisher alles passiert ist, wundert mich eigentlich so schnell nichts mehr.“
Wie zur Bestätigung präsentierte Anna ihre Hände, die bandagiert waren, um die Blutungen der Stigmata etwas zu bremsen.
„Wahrscheinlich wird es nichts sein“, vermutete Bianca. „Bei so vielen Toten in der letzten Zeit darf man auch gerne mal ein wenig hysterisch werden.“
Anna kicherte nervös. Gemeinsam setzten sie sich wieder in Bewegung, und diesmal mit normaler Geschwindigkeit.
Sie waren vielleicht noch fünf Meter von Annas Wagen entfernt, als plötzlich jemand „ZUGRIFF“ rief und aus allen Ecken Polizisten hervorgestürmt kamen.
Ehe Bianca realisieren konnte, was eigentlich geschah, wurde sie von einem Polizisten mit brutaler Wucht zu Boden gerissen.
Ihre Arme wurden auf ihren Rücken gezerrt, dabei schier ausgerenkt und mit Handschellen gefesselt. Danach wurde sie wieder grob auf die Füße gezerrt.
Vor ihr stand ein wohlbekannter Mann. Inspektor Holzacher.
„Na? Kennen Sie mich noch?“, begrüßte er sie hämisch.
„Saddam Hussein?“, vermutete Bianca spöttisch.
„Treiben Sie nur keine Scherze mit mir“, grollte Holzacher. „Sie sind die Letzte, die sich das noch leisten kann.“
„Wenn Sie mir vielleicht mal verraten könnten, was Sie mit Ihren Gorillas hier treiben, wären wir schon einen Schritt
Weitere Kostenlose Bücher