Der Sommer der Toten
auch nicht“, gab Bianca zu. „Zumindest noch nicht ...“
„Ich erinnere mich an die Gespenstergeschichten, die ich als Kind gerne gelesen habe“, erklärte Dr. Kovacs. „So ähnlich haben sich da auch immer die Flüche angehört.“
„Das ist aber kein Auszug aus einem Kinderbuch“, entgegnete Bianca säuerlich.
„Das wollte ich damit auch nicht sagen“, beeilte sich der Arzt zu sagen. „Vielmehr wollte ich darauf hinaus, dass sich die Autoren sicherlich irgendwo auch Anregungen geholt haben, wenn es darum ging, irgendeinen Fluch vom Stapel zu lassen.“
„Wir haben es also mit einem Fluch zu tun“, brummte Bianca unwillig. „Welch neuartige Erkenntnis.“
„Und wenn man so vernagelt oberflächlich ist, dass man das Offensichtliche nicht erkennt, dann braucht man sich auch nicht zu wundern, wenn man zu keiner tieferen Erkenntnis kommt“, schoss Kovacs zurück. „Als Mediziner komme ich als Erstes zu der Analogie, dass ein Fluch wie eine Krankheit ist. Mein Job als Arzt ist, diese Krankheit zu analysieren und schlussendlich eine geeignete Therapie anzusetzen. Welche Therapie ich für welche Krankheit nehme, entscheide ich aus meinen Erfahrungen und aus meinem Wissen heraus, das wiederum auf dem Wissen und den Erfahrungen anderer resultiert. Wenn uns das Leben als Ganzes eines gelehrt hat, dann ist das Folgendes: Zu jedem Übel bekommen wir Menschen auch gleich die Antwort serviert, wie wir es abstellen können. Die Antwort müssen wir nur finden. Und diese Suche kann erfordern, dass wir bestimmte Grenzen überschreiten. Also seien Sie bitte nicht so vernagelt.“
Bianca stand wortlos mit offenem Mund da.
„Starker Vortrag“, bemerkte Klaus trocken.
„Aber er hat recht“, mischte sich Anna ein. „Wir sehen sprichwörtlich den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Wir konzentrieren uns darauf, dass hier im Ort lebende Tote durch die Gegend wandern, aber nicht, warum lebende Tote hier umhergehen. Und das ist der Punkt.“
Bianca nickte stumm. Erst wirkte ihr Nicken eher versonnen, dann war es von einigem Nachdruck geprägt.
„Das Warum. Genau das ist der Punkt.“ Bianca deutete auf den Text. „Genau das ist das, was uns dieses Buch sagen möchte. Ich verstehe zwar immer noch kein Wort von dem, was da drin steht.“
„Das ist doch ganz einfach“, antwortete Anna bitter lachend. „Wenn du eine Pistole nimmst und mir die Lichter ausknipst, ist wieder alles in bester Ordnung.“
„Nein!“ Bianca schüttelte heftig den Kopf. „Erstens will ich das nicht und zweitens ist diese Erklärung entschieden zu einfach.“
„Dann versuch du es“, entgegnete Anna.
„Ich glaube, zwei Punkte können wir festtackern“, antwortete Bianca. „Du bist die Nachfahrin von Vater Inquisitor und ich die vom Wanderer.“
„Das ist so weit klar.“ Anna nickte zustimmend.
„Der Wanderer hat den Pfaffen kalt gemacht und der Wanderer wurde dafür um die Ecke gebracht. Wir gehen immer von unserem Gerechtigkeitssinn aus. Aber wer ist hier Täter und wer ist hier Opfer? Die als Hexen verbrannten Frauen waren die Opfer von Vater Inquisitor. Der wiederum war das Opfer vom Wanderer. Und wenn wir von Opfern reden: Die müssten eigentlich Schlange stehen, wenn es darum geht, Genugtuung zu bekommen. Warum sind ausgerechnet wir die Kandidaten?“
„Wir sind die letzten unserer Ahnenreihe“, gab Anna zu bedenken. Wenn wir tot sind, ist das Thema erledigt. Doch bis dahin muss sich der Fluch erfüllen. Sonst war er ein Rohrkrepierer.“
„Genau!“, kam es von der Tür.
Alle drehten sich erschrocken um. Der Bürgermeister hatte unbemerkt den Gastraum betreten, stand nun in der Mitte des Raumes und hielt seine Pumpgun im Anschlag.
„Wenn nur eine von Ihnen tot ist, ist der Fluch beendet. Dann können wir uns wieder unserem Tagwerk widmen und die Vergangenheit kann ruhen. Zu diesem Zweck muss nur diese aufmüpfige kleine Schlampe da sterben.“
Mit diesen Worten zielte der Bürgermeister auf Bianca und drückte ab.
4.
„Ich würde gerne mal wissen, wann diese verdammte Hitze aufhört“, murmelte der erste Polizist unwillig.
Gleichzeitig hatte er beschlossen, dass es an der Zeit sei, auf Vorschriften und Kleiderordnung zu pfeifen, zog Uniformmütze und –jacke aus und warf beides in den Streifenwagen.
Sein Kollege quittierte dies lediglich mit einem stummen Blick, ehe er sich wieder seinem Nachtsichtfernglas widmete, um das Geschehen auf dem Hexenhügel aus sicherer Entfernung zu beobachten.
Er
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