Der Sommer der Toten
vom Boden des Gastraumes erkennen.
„Dr. Kovacs“, rief Klaus – nein, er kreischte fast.
Der Arzt kroch unter dem Tisch hervor, stand auf und ging zu dem angeschossenen Bürgermeister. Auch Anna kam hervor und folgte ihm.
Kovacs erkannte sofort, dass der Mann im Sterben lag. Selbst wenn er jetzt noch einen Notarztwagen anfordern würde, wäre Herr Staudinger verblutet, ehe der Wagen überhaupt losfuhr. Er schüttelte daher nur stumm mit dem Kopf.
Klaus deutete die Geste richtig und murmelte unentwegt „Oh Scheiße ... so eine verdammte Scheiße“ vor sich hin.
Der Bürgermeister röchelte und ergriff mit letzter Kraft Annas Arm, die nun ebenfalls neben ihm kniete.
„Ich ... ich habe nur das Beste gewollt“, röchelte er. „Wenn sie tot ist, wird der Fluch von diesem Ort genommen. Ist sie tot?“
Niemand antwortete. In diesem Chaos hatte noch niemand Zeit für Bianca gefunden. Anna nahm lediglich am Rande zur Kenntnis, dass sie sich fürchterlich fluchend unter dem Tisch zu befreien versuchte.
„Wenn Sie tot ist ... dann ... dann müssten auch die Toten weg sein. Ich habe doch alles richtig gemacht, oder?“
Wiederum bekam der sterbende Mann von niemandem eine Antwort. Anna war hin und her gerissen zwischen Mitleid für den Sterbenden und unbändigen Hass für das, was er getan hatte.
Letztlich nahm sie seine Hand und drückte sie fest an sich. Der Bürgermeister erwiderte dankbar ihre Geste.
Sie hielt so lange wortlos seine Hand, bis das letzte bisschen Leben aus seinen Augen gewichen war und Dr. Kovacs durch eine zurückhaltende Geste andeutete, dass er tot war.
„Also gut“, erklärte Anna lakonisch, aber mit leicht belegter Stimme. „Jetzt bin ich wohl auch noch Bürgermeisterin.“
„Das habe ich nicht gewollt“, jammerte Klaus mit fast überkippender Stimme. „Das ... das habe ich nicht gewollt.“
Anna ging zu Klaus und ergriff mit beiden Händen fest seine Schultern.
„Du kannst nichts dazu“, sagte Anna eindringlich. „Er hatte den Finger am Abzug. Du hast lediglich versucht, ihn zu entwaffnen. Das ist okay.“
„Aber ... aber er ist tot ...“
„Unzweifelhaft“, sagte Anna kühl. „Aber erstens hat er sich das selbst zuzuschreiben und zweitens dürfte dir jedes Gericht in Deutschland bescheinigen, dass du kein Mörder bist.“
„Das stimmt“, schaltete sich Dr. Kovacs ein. „Ich musste schon zwei Mal als medizinischer Sachverständiger bei ähnlich gelagerten Verfahren aussagen. Es wird zwar ein Verfahren geben, aber das ist fast nur reine Formsache. So wie die Dinge liegen und wie wir das selbst nur bezeugen können, endet die Sache fast schon zwingend in einem Freispruch.“
„Dieser Eichhorn hat uns ja seine Handynummer gegeben“, sagte Anna. „Ich denke, wir sollten nicht lange fackeln und ihn gleich anrufen.“
Mit diesen Worten schritt sie zur Theke, um zu ihrem Handy zu greifen.
„Könnte sich jetzt vielleicht mal jemand um mein verficktes Bein kümmern?“, meldete sich Bianca furchtbar schimpfend zu Wort.
Dr. Kovacs wartete, bis er sein Grinsen unter Kontrolle bekommen hatte, ehe er sich umdrehte und zu Bianca ging.
6.
„Einsatzleitung an Wagen 17“, erschallte es aus dem Lautsprecher des Funkgerätes im Streifenwagen.
„Hier Wagen 17“, kam die Bestätigung.
„Fahren Sie bitte zu dieser Pension.“ Es folgte die genaue Adresse. „Schusswechsel mit einem Toten und einen Verletzten. Arzt ist vor Ort.“
„Sind unterwegs.“
„Das glaube ich einfach nicht“, meldete sich der Polizist, der das Geschehen mit dem Fernglas beobachtete, zu Wort. „Als ob die hier nicht schon genug Probleme mit lebenden Toten haben, gehen die jetzt noch hin und knipsen sich gegenseitig die Lichter aus.“
„Wenn die sich damit beeilen, kommen wir heute Abend vielleicht noch nach Hause“, moserte sein Kollege.
„Wagen 12 an Wagen 15“, sagte das Funkgerät. „Drei von diesen Zombies sind zu euch unterwegs.“
Der Polizist beobachtete erneut das Geschehen durch das Fernglas.
„Das scheint das geringste Problem zu sein“, brummte er.
Er nahm das Fernglas herunter, legte es auf der Motorhaube ab, ging zur Fahrerseite des Streifenwagens, öffnete die Tür und beugte sich hinein, um das Mikrofon des Funkgerätes zu greifen.
„Hier Wagen 15“, sagte er. „Die Toten sind auf dem Weg zurück ins Dorf. Ich wiederhole: Sie sind auf den Weg zurück ins Dorf. Sie kommen gerade den Weg von diesem Hügel herunter.“
7.
Es passte Tobias ja gar
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