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Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Derbort
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das Bürgermeisteramt als seinerzeit einziger Kandidat übernahm.
    Er ging zu seinem Waffenschrank. Aus seiner Hosentasche fingerte er den Schlüsselbund, der den Schlüssel für den sorgsam verschlossenen Stahlschrank enthielt. Er öffnete den Schrank und blickte auf eine Vielzahl an Waffen, die sich der passionierte Jäger im Laufe der Jahre angeschafft hatte.
    Dennoch würdigte er die teuren Jagdwaffen keines Blickes, sondern bückte sich sofort nieder, um ein besonderes Teil aus dem Schrank zu holen.
    In dunklem Leinen gehüllt lag noch eine besondere Waffe auf dem Boden des Schrankes, die er in Deutschland eigentlich gar nicht besitzen durfte – eine Pumpgun mit abgesägtem Lauf. Er hatte damit mal probehalber auf einen Getreidesack geschossen. Die Wirkung der Waffe war verheerend. Mit anderen Worten: Genau richtig für das, was er nun zu tun gedachte.
    Er lud die Waffe und stopfte sich die Taschen mit weiteren Patronen voll. Er glaubte zwar nicht, dass er so viel Munition benötigte, aber er wollte auf Nummer sicher gehen. Wahrscheinlich war das die einzige Chance, die er hatte.
    Er machte sich gar nicht die Mühe, die Pumpgun in irgendeiner Form zu verbergen, als er das Haus verließ. Niemand würde ihn aufhalten.
    Seine Frau starrte ihn mit großen Augen an, als er mit dem Gewehr in der Hand durch die Küche ging und sie keines Blickes würdigte.
    Sie gewahrte den Gesichtsausdruck ihres Mannes und wagte erst gar nicht, Fragen zu stellen.
    Somit blickte sie ihm wortlos nach, als er das Haus verließ. Dabei hatte sie das diffuse Gefühl, dass sie ihren Mann zum letzten Mal lebend sehen würde.
    3.
„Hört mal alle her“, meldete sich Bianca zu Wort.
    Es wurde bereits Mittag. Die Sonne stand hoch am wolkenlosen Himmel. Das Thermometer kletterte erneut in Richtung Vierzig-Grad-Marke. Der Verwesungsgestank, der das Dorf einhüllte, wurde von Stunde zu Stunde intensiver.
    Auch im Gasthof war dieser Geruch trotz Annas Gegenmaßnahmen allgegenwärtig.
    „Ich habe den Text soweit durchgearbeitet“, berichtete Bianca. „Ich habe ihn zusammengefasst, aber ich habe nicht den mindesten Schimmer, was ich damit anfangen soll. Ich finde das, was in diesem Buch steht, merkwürdig und beängstigend – aber richtig schlau werde ich daraus nicht.“
    „Lies doch einfach mal vor“, schlug Anna vor.
    Sie hatte ein verheultes Gesicht, aber ihr Blick verriet, dass sie wieder konzentriert bei der Sache war. Um dies zu unterstreichen, gesellte sie sich zu den anderen.
    „Also gut“, begann Bianca. „Der Text war sehr schwer zu verstehen. Vieles war althochdeutsch und das Meiste war Latein. Mein kleines Latinum vom Abi war nur bedingt zu gebrauchen, aber ich habe es geschafft.“
    Sie blickte etwas unsicher in die Runde, dann hob sie den Block und las vor:
    „Viel Unrecht war geschehen. Unrecht, das niemals gesühnt wurde, aber gesühnt werden muss. Jene, die Unrecht begangen haben, sind tot. Viel zu früh gestorben, als dass sie die Strafe für ihre Untaten empfangen konnten. Zu viele Menschen mussten sterben für etwas, was sie nie begangen haben, um die Macht derjenigen, die sie töteten, zu stärken. Sie mussten leiden, um ihren eigenen Tod gutzuheißen. Jeder Tod ist grausam, aber der Tod dieser Opfer war so grausam, dass er durch kein Wort der menschlichen Sprache beschrieben werden konnte.“
    Bianca sah kurz in die Runde. Alle blickten sie ernst an, aber niemand sagte ein Wort. Bianca fuhr fort.
    „So viele dieser Tode wurden gestorben, dass keine Generationen nachfolgen können, um zu vergelten. Doch es muss an den nachfolgenden Generationen jener vergolten werden, die Unheil begangen haben. Einer wurde geopfert, weil er dieses Unheil zu besiegen trachtete. Seine nachfolgende Generation vermag zu vergelten oder vermag den Fluch der Vergeltung durch das Opfer zu durchbrechen. Doch ein Leben kann zehn Leben wert sein. Die Antwort wird kommen, wenn der Vater zurückkehrt, um zu schauen und die Kinder jener, die ihn richteten, entscheiden, wessen Opfer erbracht wird.“
    Bianca sah auf.
    „So viel zu der Kurzfassung“, sagte sie. „Das Buch enthielt noch reichlich detaillierte Beschreibungen, wie seinerzeit mit den Delinquenten verfahren wurde – nichts, was ich weiter vertiefen wollte. Davon habe ich genug.“
    „Klingt makaber“, erklärte Klaus schaudernd. „So eine behämmerte Rechnung, zehn Leben für eines , macht mich ziemlich nervös. Ansonsten verstehe ich von all dem Gefasel kein Wort.“
    „Ich

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