Der Sommer der Toten
Stoßstange des Löschwagens und zündete sich eine Zigarette an.
Klaus sah ihn unsicher an. Dann schaute er auf die Felsen. Eigentlich konnte er zufrieden mit sich sein. Er hatte schon viel Arbeit geleistet und den allergrößten Teil der Überreste des Toten eingesammelt. Er atmete tief durch, nahm den Eimer und begann, auch die letzten Organteile aufzuheben.
Er arbeitete mit der Hand. Trotz der Gummihandschuhe, die er trug, hatte er das Gefühl, er würde die Teile mit bloßen Händen anfassen. Er unterdrückte einen neuen Brechreiz. Insgeheim verfluchte er sich dafür, dass er sich zu dieser Arbeit freiwillig gemeldet hatte.
„Oh Mann“, murmelte er leise vor sich hin, „wenn sich wieder ein Toter von einer Klippe stürzen sollte, werde ich der Letzte sein, der diese Sauerei wegwischt.“
Als er mit dem Einsammeln fertig war, kippte er den Eimer wieder in der Plastikwanne aus. Der Anblick der glibberigen Organteile ließ ihn erneut würgen. Dann stellte er den Eimer einfach neben der Wanne ab und zog seine Handschuhe aus.
Er beobachtete Werner, der immer noch auf der Stoßstange des Löschwagens saß. Seine Zigarette hatte er längst ausgemacht. Er saß ruhig da und starrte auf einen nicht zu definierenden Punkt am Horizont.
Klaus legte seine Handschuhe auf ein Trittbrett des Löschwagens und setzte sich nach kurzem Zögern neben Werner.
Zuerst dachte Klaus, Werner würde ihn gar nicht zur Kenntnis nehmen. Doch dann fing Werner zu reden an.
„Ich ziehe vor dir meinen Hut, Junge“, sagte Werner tonlos.
„Weshalb?“ Klaus lachte auf. „Ich habe drei Mal gekotzt und wenn ich mich nicht zusammen gerissen hätte, wäre es noch mehr gewesen.“
„Genau deswegen. Andere hätten schon längst aufgegeben.“
„Und was wäre dann passiert?“
„Dann hätte ich es eben alleine gemacht. Ich mache auch den Rest alleine. Der Körper ohne die Organe kann nicht mehr so schwer sein. Den und die Wanne werde ich mit der Sackkarre nach oben befördern. Da kannst du mir ohnehin nicht helfen. Geh ins Pfarrhaus. Geh ins Licht. Du hast genug erlebt für den ersten Tag hier.“
„Das kann man wohl sagen.“ Klaus kicherte leicht hysterisch.
„Helfe den beiden Frauen bei dem, was sie noch zu tun haben. Sie werden dich brauchen.“
„Und Sie sind sicher, dass Sie den Rest alleine schaffen?“, fragte Klaus. „Ich meine, ich haue mich nicht drum, bis zum bitteren Ende hier zu bleiben. Aber ...“
„Es ist in Ordnung, Junge. Geh.“
„Okay.“ Klaus stand auf. Dann sah er Werner ins Gesicht. „Eines noch ...“
„Ja?“ Werner blickte auf. Seine Augen waren unendlich traurig.
„Ich fand gut, was Sie getan haben. Ich meine ... das mit dem Kopf. Ich meine ... es war wirklich furchtbar, wie er gelitten hat. Ich hätte das nicht geschafft. Auch ich ziehe meinen Hut.“
„Ja“, sagte Werner. „Es war furchtbar. Und nun geh bitte.“
Klaus streckte ihm die Hand entgegen. Werner sah ihn an, dann ergriff er sie. Als Klaus ihm zum letzten Mal ins Gesicht sah, sah er Tränen in Werners Augen schimmern.
Einen Augenblick lang überkam ihn der Impuls, Werner zu umarmen. Innerlich nannte er sich selbst einen sentimentalen Trottel.
Es sollte keine vier Stunden dauern, ehe er sich wünschte, er hätte es getan.
14.
Anna und Bianca blickten irritiert auf, als Pfarrer Schuster erregt das Wohnzimmer betrat, die Tür hinter sich zuschlug und wie der Zorn Gottes persönlich durch das Wohnzimmer rauschte, durch eine andere Tür verschwand und auch die mit einem lauten Knall ins Schloss fallen ließ.
„Das ist Pfarrer Schuster, wie er leibt und lebt“, sagte Anna verblüfft.
„Hat er diese Phasen öfter?“, fragte Bianca vorsichtig, während sie sich vor Schmerzen stöhnend vorsichtig aufrichtete.
„Ja“, sagte Anna. „Genaugenommen jeden Sonntag bei der Predigt.“
„Dann sollte er mal was für seinen Blutdruck tun“, sagte Bianca durch zusammengepresste Zähne.
„Tut’s sehr weh?“
„Nur wenn ich lache.“
„Ein älterer Spruch ist dir dazu wohl nicht eingefallen, wie?“, fragte Anna schnippisch.
„Nee. Da müsste ich erst länger überlegen.“
Bianca stand langsam auf und lief testweise einige Schritte.
„Geht’s?“, fragte Anna.
„Kein Problem. Komm, joggen wir eine Runde.“
„Ich meine das im Ernst. Immerhin müssen wir den ganzen Weg zurück laufen.“
„Das wird schon gehen. Immerhin laufe ich ja nicht auf meinen Rippen.“
Die Tür ging wieder auf, Pfarrer Schuster
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