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Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Derbort
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schlug. Er sah noch mal auf die Uhr.
    „Wer um Himmels willen bedient hier die Glocken?“, fragte er erstaunt.
    „Vielleicht spielt die Zeitschaltuhr verrückt“, schlug Klaus vor.
    Anna lachte amüsiert.
    „Was ist?“, fragte Klaus beleidigt.
    „Nix Zeitschaltuhr, Kleiner. Hier wird noch an Seilen gezogen.“
    „Ich schau mal kurz nach“, sagte Pfarrer Schuster und verließ das Pfarrhaus.
    Es dauerte keine zwei Minuten, als er kreidebleich wieder hereinkam.
    „Es ist Werner“, sagte er mit rauer Stimme.
    „Wieso läutet er jetzt die Glocken?“, fragte Anna erstaunt.
    „Er läutet nicht die Glocken“, sagte der Priester sichtlich um Fassung bemüht. „Er hat sich am Glockenseil erhängt.“
    15.
Als sie endlich völlig übernächtigt in die Pension zurückkehrten, war es fast acht Uhr morgens. Werners Freitod hatte sie noch so lange im Pfarrhaus aufgehalten. Die Polizei brauchte einige Zeit, um Fremdverschulden auszuschließen, der Notarzt konnte nur noch seinen Tod feststellen. Es war sieben Uhr, als die Polizei abrückte und Werners Leiche weggeschafft wurde.
    Pfarrer Schuster lehnte Annas Angebot, noch ein wenig bei ihm zu bleiben, dankend ab. Irmhild, die Haushälterin, lamentierte lauthals über die entweihte Kirche, bis es Pfarrer Schuster zu bunt wurde und er ihr einen Anpfiff verpasste, der sie schlagartig verstummen ließ.
    „Ich warne Sie nur ein Mal, Irmhild“, sagte er drohend. „Wenn nur ein Wort davon im Dorf bekannt wird, dann sind Sie fristlos entlassen. Werner bekommt den Respekt und das Begräbnis, das ihm zusteht. Nämlich das eines guten Christen.“
    „Aber er hat ...“, protestierte Irmhild hilflos.
    „Er hat gar nichts!“, fuhr der Pfarrer ihr sehr böse ins Wort. „Er ist vielleicht gestorben, weil er ein besserer Christ war, als ich es sein konnte. Und damit basta! Ich will nichts mehr davon hören.“
    Als sie sich kurz darauf verabschiedeten, wartete Klaus, bis die beiden Frauen einige Schritte gegangen waren.
    „Sie haben so gehandelt, wie Sie es für richtig hielten“, sagte Klaus zu dem Pfarrer. „Geben Sie sich nicht die Schuld.“
    „Was ist richtig und was ist falsch?“ Pfarrer Schuster lachte bitter. „Ich weiß nicht, wie ich richtig gehandelt hätte ...“
    „Es gibt oft mehr als eine Wahrheit“, entgegnete Klaus. „Und es gibt Situationen, die jeden Menschen überfordern. Man kann nicht alles richtig machen. Werfen Sie sich nichts vor. Letzten Endes war es Werners Entscheidung, sein Leben zu beenden.“
    „Danke“, sagte der Priester aufrichtig. „Eigentlich sollte ich derjenige sein, der den Menschen Trost spendet und nicht ungekehrt. Aber ich weiß es zu schätzen. Bitte gehen Sie jetzt. Ich muss in Ruhe nachdenken.“
    Klaus nickte. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ging.
    In Annas Pension saßen alle zusammen und jeder brütete still vor sich hin. Obgleich jeder müde war, wollte niemand ins Bett. Anna hatte kurz mit Sandra, ihrer Aushilfe, telefoniert und sie gebeten, den Laden heute alleine zu schmeißen. Erst als es schon fast zehn Uhr war, nahm die Müdigkeit überhand und alle legten sich wortlos ins Bett.
    Insgeheim hoffte Bianca, dass es nicht noch schlimmer kam.
    Doch es sollte noch schlimmer kommen.
    16.
Dass die junge Frau mal hübsch war, konnte niemand mehr erkennen. Ihre langen blonden Haare waren abgesengt worden. Die Kopfhaut und das Gesicht waren von Brandblasen übersät. Einige dieser Wunden hatten sich entzündet und eiterten.
    Man hatte ihre Hinrichtung vorverlegt. Sie sollte nicht schon vorher in der Kerkerzelle einen viel zu gnädigen Tod, verursacht durch die Infektionen, finden.
    Laufen konnte sie nicht mehr. Beide Beine waren mehrfach gebrochen. Auch ihre Arme waren ausgekugelt. Der offene Bruch wurde niemals behandelt. Es hatte sich Wundbrand gebildet.
    Es war fraglich, ob sie überhaupt noch etwas spürte. Sie hatte sehr hohes Fieber.
    Ungeachtet ihrer ausgekugelten Arme und ihrer gebrochenen Schlüsselbeine hatten sie ihre Hände zusammengebunden und schleiften sie so mit einem Maultier zur Hinrichtungsstätte. Einer der Schergen lief neben ihr und ließ sie in regelmäßigen Abständen die Peitsche spüren. Ein anderer piesackte sie mit einem glühenden Eisen.
    An der Hinrichtungsstätte angekommen hoben zwei Henkersknechte sie hoch und ketteten sie an einem Pfahl auf dem Scheiterhaufen fest. Die Frau stöhnte leise.
    Ja, sie war eine Hexe. Sie hatte es letztlich zugegeben. Genaugenommen blieb ihr

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