Der Sommer der Toten
lagen auf einem Sessel einige Kleidungsstücke bereit. Der Priester deutete darauf.
„Das ist die Ersatzkleidung, die Werner immer hier gelagert hatte“, erklärte er.
Anna nickte. Sie blickte auf die Kleidungsstücke und dann auf Werner.
„Na, das wird jetzt ein Spaß“, seufzte sie und griff nach der Hose, die zuoberst lag.
Sie raffte die Hosenbeine so gut es ging zusammen und sah Werner an.
„Werner“, sagte sie. „Kannst du zunächst mal ein Bein anheben? Nicht viel. Nur ein wenig, damit ich das erste Hosenbein über dich drüber bekomme.“
Der Zombie hob sein rechtes Bein tatsächlich ein wenig. Rasch ging Anna in die Hocke und zog die Hose mit dem rechten Hosenbein über den Fuß.
„Gut gemacht, Werner“, sagte sie, ohne aufzustehen. „Und nun das andere Bein.“
Das zweite Hosenbein erwies sich als etwas schwieriger, da Werner nur in der Lage zu sein schien, das Bein zur Seite weg zu strecken. Weit genug, um dafür zu sorgen, dass die Spannweite des Hosenbundes nicht ausreichte.
Nach mehreren Fehlversuchen legte sie schließlich die Hose so gut es ging auf den Boden und gebot Werner, sich möglichst in die Öffnung des anderen Hosenbeins hineinzustellen.
Das klappte zwar auch nicht so ganz wunschgemäß, aber letztlich konnte sie erleichtert seufzend die Hose an seinen Beinen hochziehen.
Sie atmete seufzend aus, als sie es endlich geschafft hatte, die Hose zuzuknöpfen.
Anschließend nahm sie sein Hemd, ein rot-blau kariertes Holzfällerhemd, das für die Jahreszeit eigentlich viel zu warm war. Aber da Tote normalerweise nicht schwitzen, zog sie dieses Kleidungsstück doch dem ebenfalls bereitliegenden T-Shirt vor. Das Hemd konnte sie ihm ohne große Probleme anziehen, ohne zu lange mit seinen unkontrollierten Bewegungen improvisieren zu müssen. Es dauerte eine gute Viertelstunde, bis Anna den letzten Knopf geschlossen und das Ankleiden Werners für abgeschlossen erklärte.
Pfarrer Schuster hatte dem Treiben mit ungläubigem Kopfschütteln und entsetztem Blick zugesehen.
„Man könnte meinen, er versteht jedes Wort“, sagte der Priester staunend.
„Ich glaube, das tut er auch“, erwiderte Anna, während sie hilflos auf ihre Hände blickte. „Kann ich mir hier irgendwo die Hände waschen?“
„Selbstverständlich“, sagte Pfarrer Schuster und deutete zu einer Tür an der Stirnseite des Wohnzimmers. „Durch diese Tür auf den Flur und dann die zweite Tür links. Da finden Sie das Badezimmer.“
Anna bedankte sich mit einem Kopfnicken und folgte den Anweisungen des Pfarrers. Im Badezimmer musste sie sich doch zunächst einmal überrascht umschauen. Dieser Raum war alles andere als spartanisch eingerichtet und vor nicht länger als zwei Jahren komplett renoviert worden. Die modernen Armaturen standen im krassen Gegensatz zu der von Pfarrer Schuster propagierten Technik-Phobie. Wahrscheinlich war dieser Raum auch gegen seinen Willen neu ausgestattet worden. Die Kirche jedenfalls ließ sich nicht lumpen.
Anna wusch sich die Hände mit fast schon übertriebener Gründlichkeit. Ihre persönlichen Sympathien gegenüber Werner änderten nichts an der Tatsache, dass Werner tot war und sie es als ausgesprochen unangenehm empfand, Tote zu berühren, was bei dieser Einkleidungsaktion nicht ausgeblieben war. Außerdem wusste sie nicht, welche unerfreulichen Keime sich auf den Körpern toter Menschen breit machten. Ihr war in jedem Fall wohler, nachdem sie sich scheinbar die obere Hautschicht ihrer Hände heruntergeschrubbt hatte.
Nachdem sie das Wohnzimmer wieder betreten hatte, erkannte sie, dass Werner exakt an der selben Stelle stand, an dem sie ihn stehen gelassen hatte, während der Pfarrer aufgeregt hin und her lief.
Anna blickte Werner traurig an. Fast wirkte er wie die unliebsame Puppe eines kleinen Mädchens, die vergessen in irgendeiner staubigen Ecke des Dachbodens lag. Vergessen und verloren.
„Werner“, sagte Anna. „Du musst nicht stehen bleiben und warten, bis dir jemand Anweisungen gibt. Tu ruhig, womit du dich am wohlsten fühlst.“
Werner bewegte sich nicht.
„Setz dich, wenn du willst.“
Werner blieb bewegungslos stehen.
Pfarrer Schuster ging zu Werner und stellte sich vor ihn.
„Werner“, sagte er mit gepresster Stimme. „Ich wünschte, ich hätte es dir noch zu deinen Lebzeiten sagen können. Ich respektiere das, was du mit dem Toten am Fuße des Steilhangs getan hast. Ich habe auch erkannt, dass du da als aufrechter Christ gehandelt hast. Wenn ich
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