Der Sommer der Toten
dir damit wehgetan habe oder wenn ich dein Gewissen belastet haben sollte, dann bitte ich aufrichtig um Verzeihung.“
Daraufhin passierte etwas, was Anna am allerwenigsten erwartet hatte – vor allem weil sie sich gerade von allen Horrorfilm-Klischees in Bezug auf lebende Tote verabschiedet hatte.
Werner streckte erstaunlich schnell seine Hände aus und legte sie Pfarrer Schuster um den Hals.
Danach drückte er mit erbarmungsloser Kraft zu. Die Sekunde, die Anna brauchte, um sich von diesem Schreck zu erholen genügte Werner.
Der Priester röchelte. Dieses Röcheln endete abrupt, als Pfarrer Schusters Genick mit einem hörbaren Knacken brach.
Werner ließ los und die Leiche des Pfarrers plumpste wie ein nasser Sack zu Boden.
„Werner, um Himmels willen! Was hast du getan?“, keuchte Anna mit fassungslosem Entsetzen.
Der Tote setzte sich in Bewegung, wankte umständlich um den toten Priester herum auf den Schreibtisch zu. Dort blieb er scheinbar unschlüssig stehen.
Seine ungelenken Hände griffen nach einem Kugelschreiber. Er hielt den Kugelschreiber in der Faust umklammert, als handele es sich um ein Messer. Auf der Schreibtischunterlage befanden sich einige Blätter, die Anna von ihrer Position aus nicht erkennen konnte. Mit dem umklammerten Kugelschreiber kritzelte er etwas auf die Blätter. Anna konnte hören, wie das Papier unter dem viel zu großen Druck einriss.
Anna fragte sich einen Augenblick lang, ob Werner überhaupt etwas Nachvollziehbares zustande brachte. Während er auf die Blätter kritzelte, blickte er mit seinem unnatürlich verrenkten Kopf starr schräg nach oben zur Decke.
Schließlich ließ er wieder von den Zetteln ab. Der Kugelschreiber fiel achtlos zu Boden. Werner wankte langsam zu dem entgegengesetzten Ende des Raumes. Dabei ließ er gebührenden Abstand zu Anna.
Erst als Werner stehen blieb, traute sich Anna zum Schreibtisch des Priesters.
In ihrer grenzenlosen Überraschung erkannte sie, dass Werner etwas geschrieben hatte. In großen ungelenken Buchstaben zwar und das Papier war an einigen Stellen deutlich eingerissen, aber die Botschaft war lesbar.
Anna stockte der Atem.
„ER FEIND DU FREUND“ stand da.
12.
„Ich möchte Sie ganz einfach nicht verhaften“, erklärte Kommissar Kellermann, nachdem die beiden Streifenbeamten zum Schein den Unfall aufgenommen hatten und Klaus ins Krankenhaus transportiert worden war.
„Das wäre für Sie vielleicht besser gewesen“, gab Bianca zu bedenken. „Sie hätten zumindest einen Verdächtigen vorführen können.“
„Und ich hätte Sie in Untersuchungshaft nehmen müssen“, konterte der Polizist. „Ich habe Ihr Friedensangebot angenommen und hoffe jetzt auf Ihre Mitarbeit. Also, was tun wir als Erstes?“
„Essen.“
„Wie bitte?“
„Essen“, wiederholte Bianca. „Ich habe Hunger und außerdem ist es leichter, wenn ich Ihnen die ganze Geschichte bei einem Gläschen Wein erzähle. Wenn ich damit fertig bin, werden Sie was ziemlich Starkes brauchen. Da ist eine gute Grundlage sehr zu empfehlen.“
„Also meinetwegen“, stöhnte der Kommissar. „Das wird meinem Spesenkonto zwar gar nicht gefallen, aber vielleicht haben Sie sogar Recht.“
„Ich habe Ihnen vorhin so einiges an den Kopf geworfen“, erklärte Bianca. „Daher haben Sie bei mir noch was gut. Ich lade Sie ein. Vorausgesetzt, das wird nicht als Beamtenbestechung gewertet.“
Zum ersten Mal lächelte der Polizist.
„Ihr freches Mundwerk können Sie offenkundig so oder so nicht zügeln“, erklärte er grinsend. „Aber jetzt tun Sie es wenigstens charmanter. Überredet. Es ist keine Beamtenbestechung und ich akzeptiere dankend.“
Sie entschieden sich für ein kleines italienisches Lokal, das der Kommissar vorgeschlagen hatte. Wie Bianca beim Betreten erkannte, hatte der Vorschlag sehr viel Sinn. Die Tische waren allesamt in Separees angeordnet, sodass sie sich wirklich ungestört unterhalten konnten.
Hinzu kam, dass das Essen wirklich vorzüglich war. Es handelte sich nicht um einen Italiener, der neben einer Unzahl verschiedener Pizzasorten noch die Standard-Nudelgerichte anbot, sondern mit köstlichsten sizilianischen Spezialitäten aufzuwarten wusste.
Bianca erzählte alles und ließ diesmal nichts aus. Das Gesicht des Kommissars wurde immer länger und ungläubiger. Am Ende von Biancas Geschichte starrte er sie erst einmal sehr lange an, ohne ein Wort zu sagen.
„Und das soll ich Ihnen glauben?“, brachte er schließlich atemlos
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