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Der Sommer der toten Puppen

Der Sommer der toten Puppen

Titel: Der Sommer der toten Puppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Hill
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saß.
    »Schon gut. Also, ich hätte es nicht tun dürfen. Wenn es das ist, was Sie hören wollen, dann bitte.«
    »Warum hätten Sie es nicht tun dürfen?«
    Er versuchte ruhig zu bleiben. So ging das Spiel: Fragen, Antworten, weitere Fragen.
    »Bitte, das wissen Sie doch genau. Weil es nicht richtig ist. Weil die Polizei so etwas nicht tut. Weil ich die Nerven nicht hätte verlieren sollen ...«
    Der Psychologe notierte etwas.
    »Was haben Sie gefühlt in dem Moment? Wissen Sie es noch?«
    »Wut, nehme ich an.«
    »Kennen Sie das von sich? Sind Sie öfter wütend?«
    »Nein. Nicht in dem Maße.«
    »Erinnern Sie sich an einen anderen Moment in Ihrem Leben, in dem Sie derart die Beherrschung verloren haben?«
    »Vielleicht.« Er machte eine Pause. »Als ich noch jünger war.«
    »Noch jünger.« Neue Notiz. »Vor wie vielen Jahren ... fünf, zehn, zwanzig, mehr als zwanzig?«
    »Sehr jung«, unterstrich Héctor. »Als Jugendlicher.«
    »Haben Sie sich geprügelt?«
    »Wie bitte?«
    »Ob sie sich öfter geprügelt haben, als Jugendlicher.«
    »Nein. Gewöhnlich nicht.«
    »Aber Sie haben schon mal die Beherrschung verloren.«
    »Sie sagen es. Schon mal.«
    »Wann zum Beispiel?«
    »Ich weiß nicht mehr«, log er. »Kein besonderer Anlass. Ich nehme an, wie alle Jungs habe ich eine Phase durchgemacht, in der ich mich nicht unter Kontrolle hatte.«
    Neue Notiz. Weitere Pause.
    »Wann sind Sie nach Spanien gekommen?«
    »Pardon?« Beinahe hätte er geantwortet, dass er vor ein paar Tagen gekommen sei. »Ah, Sie meinen das erste Mal. Mit neunzehn Jahren.«
    »Waren Sie da noch in dieser Phase, in der Sie sich nicht unter Kontrolle hatten?«
    Héctor lächelte.
    »Na ja, für meinen Vater war ich das wohl.«
    »Es war also die Entscheidung Ihres Vaters?«
    »Mehr oder weniger. Er war Gallego ... Spanier, meine ich, er wollte immer in seine Heimat zurück, aber er konnte nicht. Also hat er wohl mich geschickt.«
    »Und war das für Sie in Ordnung?«
    Der Inspektor machte eine wegwerfende Handbewegung, als wäre es eine unpassende Frage.
    »Entschuldigen Sie, aber man merkt, dass Sie jünger sind ... Mein Vater hat entschieden, dass ich in Spanien weiterstudieren soll, und fertig. Ich wurde nicht gefragt.« Er räusperte sich kurz. »So war das damals.«
    »Hatten Sie denn keine eigene Meinung dazu? Schließlich waren Sie gezwungen, Ihre Familie zurückzulassen, Ihre Freunde, Ihr Leben dort. Hat Ihnen das nichts ausgemacht?«
    »Natürlich. Aber ich hätte nie gedacht, dass es für immer ist. Und außerdem, wie ich bereits sagte, ich wurde nicht gefragt.«
    »Haben Sie Geschwister, Herr Inspektor?«
    »Ja. Einen Bruder. Älter als ich.«
    »Und der ist nicht zum Studium nach Spanien gekommen?«
    »Nein.«
    Die Stille, die auf die Antwort folgte, war noch gespannter als zuvor. Eine Frage drängte an die Oberfläche. Héctor schlug die Beine übereinander und wandte den Blick ab. Der Junge schien zu zögern, und schließlich wechselte er das Thema.
    »In dem Bericht heißt es, dass Sie sich vor weniger als einem Jahr von Ihrer Frau getrennt haben. War sie der Grund, warum Sie in Spanien geblieben sind?«
    »Einer von mehreren, ja.« Er korrigierte sich: »Ich bin wegen Ruth hiergeblieben. Mit Ruth, aber ...« Héctor sah ihn verwundert an. Er hatte nicht gewusst, dass solche Angaben ebenfalls vermerkt wurden. »Entschuldigen Sie.« Er beugte sich vor. »Ich will nicht unhöflich sein, aber können Sie mir sagen, was das soll? Mir ist vollkommen bewusst, dass ich einen Fehler gemacht habe, dass es mich meinen Arbeitsplatz hätte kosten können und immer noch kosten kann. Wenn es Ihnen hilft: Ich glaube nicht, dass ich richtig gehandelt habe, und ich bin auch nicht stolz darauf, aber ich werde hier nicht alle Einzelheiten aus meinem Privatleben erörtern, und ich glaube auch nicht, dass ihr das Recht habt, euch einzumischen.«
    Der andere verzog keine Miene und nahm sich Zeit, bevor er etwas hinzufügte. In seinem Ton lag keinerlei Entgegenkommen, er sprach selbstsicher und ohne zu schwanken.
    »Ich glaube, ich sollte ein paar Dinge klarstellen. Sehen Sie, Herr Inspektor, ich bin nicht hier, um Sie für das zu beurteilen, was Sie getan haben, und ich entscheide auch nicht, ob Sie weiterarbeiten sollen oder nicht. Das ist Sache IhrerVorgesetzten. Mein Interesse besteht einzig darin, dass Sie herausfinden, was Sie dazu gebracht hat, die Beherrschung zu verlieren. Dass Sie lernen, vorzubeugen und in einer ähnlichen Situation

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