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Der Sommer der toten Puppen

Der Sommer der toten Puppen

Titel: Der Sommer der toten Puppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Hill
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künftig anders zu reagieren. Und dafür benötige ich Ihre Mitarbeit, sonst ist es eine unmögliche Aufgabe. Verstehen Sie?«
    »Wenn Sie es sagen ...« Héctor lehnte sich wieder zurück und streckte die Beine aus. »Um auf Ihre Frage von vorhin zu antworten: Ja, wir haben uns vor weniger als einem Jahr getrennt. Und bevor Sie weiterfragen: Nein, ich verspüre keinen unbändigen Hass, auch keine ohnmächtige Wut auf meine Frau.«
    Der Psychologe erlaubte sich ein Lächeln.
    »Ihre ehemalige Frau. Ich entnehme dem, dass es eine einvernehmliche Trennung war.«
    Diesmal war Héctor es, der lachte.
    »Bei allem Respekt, aber was Sie da sagen, ist doch Schmu. Einer verlässt den anderen, und das Einvernehmen besteht darin, dass der andere es akzeptiert und schweigt.«
    »Und in Ihrem Fall?«
    »In meinem Fall hat Ruth mich verlassen. Steht das nicht in Ihren Unterlagen?«
    »Nein.« Er sah auf die Uhr. »Wir haben nicht mehr allzu viel Zeit, Herr Inspektor. Aber für die nächste Sitzung wäre es mir lieb, wenn Sie etwas tun könnten.«
    »Hausaufgaben?«
    »So ungefähr. Ich möchte, dass Sie über Ihre Wut nachdenken, die Sie an dem Tag des Vorfalls verspürt haben, und versuchen, sich an andere Momente zu erinnern, in denen Sie etwas Ähnliches empfunden haben. Als Kind, als Jugendlicher, als Erwachsener.«
    »Verstanden. Kann ich jetzt gehen?«
    »Einen Moment noch. Gibt es vielleicht etwas, was Sie mich fragen möchten, ist irgendetwas unklar?«
    »Ja.« Er schaute ihm in die Augen. »Glauben Sie nicht, dass es Umstände gibt, in denen Wut die angemessene Reaktion ist? Dass es unnatürlich wäre, etwas anderes zu empfinden, wenn man plötzlich vor einem ... Teufel steht?« Ihn selbst überraschte das Wort, und seinen Gesprächspartner schien es zu interessieren.
    »Ich will Ihnen gleich antworten, aber lassen Sie mich vorher eine Frage stellen. Glauben Sie an Gott?«
    »Ehrlich gesagt, nein. Allerdings glaube ich an das Böse. Ich habe viele böse Menschen gesehen. Wie jeder Polizist, nehme ich an. Beantworten Sie jetzt meine Frage?«
    Der junge Mann überlegte ein paar Sekunden.
    »Das würde zu einer längeren Auseinandersetzung führen. Aber kurz gesagt, ja, in manchen Situationen ist die natürliche Antwort auf einen Reiz die Wut. Genau wie die Angst. Oder die Abneigung. Worauf es ankommt, ist, mit den Gefühlen umzugehen, sie zu beherrschen, um nicht ein noch größeres Übel zu provozieren. Aus Wut zu handeln kommt mir fraglich vor. Am Ende würden wir damit alles rechtfertigen, meinen Sie nicht?«
    Es war ein unwiderlegliches Argument. Héctor stand auf, verabschiedete sich und ging. Während er mit dem Aufzug hinunterfuhr, in der Hand schon die Zigarettenschachtel, sagte er sich, dass dieser Seelendoktor vielleicht noch ziemlich jung war, aber dumm war er nicht. Was ihm mehr ein Nachteil als ein Vorteil zu sein schien.

7
    »Ich glaube, wir langweilen die neue Kollegin.« Es war Savalls Ton, spöttisch und knapp, begleitet von einem direkten Blick, der Leire Castro sagte, dass man mit ihr sprach. Besser gesagt, sie zur Ordnung rief. »Es tut mir leid, dass ich Sie aus Ihrem spannenden Innenleben reißen muss für eine so unbedeutende Sache wie die unsrige, aber wir brauchen Ihre Meinung. Natürlich nur, wenn Sie es für angebracht halten.«
    Leire errötete und suchte nach einer Entschuldigung. Wie hätte sie auch eine stimmige Antwort geben können auf eine Frage, die sie, vertieft in ihre Sorgen, nicht gehört hatte.
    »Entschuldigen Sie, Herr Kommissar. Ich ... ich habe nachgedacht.«
    Savall merkte, genau wie Salgado und Andreu, dass seine Frage für die junge Beamtin ungehört verklungen war. Alle vier saßen sie im Büro des Kommissars, bei verschlossener Tür und mit dem Bericht über den Fall Marc Castells auf dem Tisch. Leire bemühte sich, ein paar angemessene Worte zu finden. Der Kommissar hatte den Autopsiebericht resümiert, den kannte sie gut: erhöhter Alkoholspiegel, und bei einem Blutalkoholtest hätte der Junge zwar Schwierigkeiten bekommen, aber er war auch nicht so betrunken, dass er sich nicht auf den Beinen hätte halten können; und da die medizinische Untersuchung keine Spur von Drogen nachgewiesen hatte, deutete nichts auf ein Delirium hin, in dem er sich in die Tiefe gestürzt hätte. Allerdings hatte der Ausdruck »medizinische Untersuchung« Leire in einen Strudel gezogen, einen Strudel gelöster Fragen, die zu weiteren, nur schwer zu klärenden Fragen Anlass gaben.
    »Wir

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