Der Sommer der toten Puppen
sprachen über die kaputte Türscheibe«, bemerkte Inspektor Salgado, und dankbar drehte sie sich zu ihm hin.
»Ja«, sie atmete erleichtert auf. Jetzt hatte sie wieder Boden unter den Füßen, und ihre Stimme nahm einen förmlichen und bündigen Ton an. »Das Problem ist, dass niemand sagen konnte, wann genau sie eingeschlagen wurde. Die Putzfrau glaubte, es schon gesehen zu haben, als sie am Nachmittag ging, aber sie war sich nicht sicher. Jedenfalls lagen mehrere Feuerwerkskörper hinter dem Haus, wahrscheinlich kamen sie aus dem Garten nebenan. Die Besitzer haben vier Söhne, und die Jungen haben zugegeben, sie nachmittags und auch am Abend losgelassen zu haben.«
»Klar, es war schließlich Johannis«, sagte der Kommissar. »Mein Gott, wie ich diese Nacht hasse! Früher war es noch lustig, aber heute werfen diese kleinen Monster richtige Bomben.«
»Jedenfalls fehlte im Haus nichts«, fuhr Leire fort, »und es gab auch keine einschlägigen Spuren, die auf einen Einbruch hindeuteten. Außerdem ...«
»Außerdem hätte der mutmaßliche Einbrecher bis zur Dachkammer hinaufgehen müssen, um den Jungen hinunterzustoßen. Und wozu? Nein, das ergibt keinen Sinn.« Der Kommissar winkte verärgert ab.
»Wenn ich mir erlauben darf«, sagte Andreu, die bis dahin geschwiegen hatte, »aber der Junge ist hinuntergefallen. Allenfalls ist er gesprungen. Alkohol wirkt bei jedem unterschiedlich.«
»Gibt es etwas, was auf einen Selbstmord hindeutet?«, fragte Héctor.
»Nichts, was sich aufdrängt«, antwortete Leire sofort, doch dann merkte sie, dass die Frage nicht an sie gerichtet war. »Entschuldigung.«
»Da Sie sich dessen so sicher sind, erklären Sie uns bitte, warum«, raunzte der Kommissar.
»Gerne«, sie brauchte ein paar Sekunden, um ihre Gedanken zu sortieren. »Marc Castells war einige Zeit vorher von einem sechsmonatigen Sprachkurs in Dublin zurückgekehrt. Sein Vater sagt, die Reise habe ihm gutgetan. Davor hatte er Probleme auf dem Gymnasium gehabt: Fehlstunden, negative Einstellung, sogar drei Tage Schulausschluss. Zwar hat er das Abitur geschafft, aber nicht mit der erforderlichen Note, um zu studieren, was er studieren wollte. Offenbar wusste er dann nicht mehr, was er wollte, so dass sich der Studienbeginn um ein Jahr verschob.«
»Tja. Und da haben sie ihn nach Irland geschickt, damit er Englisch lernt. Zu meiner Zeit hätten sie ihn arbeiten geschickt.« Der Kommissar konnte sich die spitze Bemerkung nicht verkneifen. Er klappte die Akte zu. »Schluss jetzt. Wir sind hier nicht bei der Schulkonferenz. Geht und sprecht mit den Eltern und mit dem Mädchen, das in der Nacht bei ihm geschlafen hat, und schließt den Fall ab. Wenn es sein muss, vernehmt den anderen Jungen, aber Vorsicht mit den Roviras. Dr. Rovira hat unmissverständlich angedeutet, dass er, da sein Sohn bereits vor der Tragödie das Haus verlassen hat, nicht allzu geneigt ist, eine Einmischung in sein Leben zu dulden. Und in Anbetracht der Tatsache, dass die Frauen mehrerer Minister bei ihm entbunden haben, unter anderem die von unserem, ist es besser, ihm nicht auf die Nerven zu gehen. Ehrlich gesagt, ich glaube nicht, dass irgendwer allzu erfreut sein wird, ich gebe euch bei Gelegenheit Bescheid. Auch Enric Castells hat klargemacht, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind, will er in Ruhe gelassen werden, und ich kann es ihm nicht einmal verdenken.« Seine Aufmerksamkeit richtete sich für einen Moment auf das Foto seiner Töchter. »Muss hart sein, den eigenen Sohn zu beerdigen und dann auch noch ertragen zu müssen, wie Presse und Polizei herumschnüffeln. Nächste Woche sehe ich Joana, ich werde versuchen, sie zu beruhigen. Sonst noch etwas, Castro?«
Leire fuhr auf.
»Ich bin mir nicht sicher«, sagte sie, auch wenn ihr Ton das Gegenteil vermittelte. »Vielleicht ist es nur ein persönlicher Eindruck, aber die Reaktion des Mädchens, Gina Martí, war ... unerwartet.«
»Unerwartet? Sie ist achtzehn, legt sich betrunken ins Bett, und als sie aufwacht, ist ihr Freund tot. Ich glaube, ›hysterisch‹, wie Sie in Ihrem Bericht schreiben, ist eine mehr als erwartbare Reaktion.«
»Natürlich, aber ...« Mit den richtigen Worten fand sie auch ihre Entschlossenheit wieder: »Die Hysterie war nachvollziehbar, Herr Kommissar. Aber Gina Martí war nicht traurig. Sie schien eher erschrocken.«
Der Kommissar verstummte für ein paar Sekunden.
»Na schön«, sagte er schließlich. »Héctor, geh heute Nachmittag zu ihr. Inoffiziell.
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