Der Sommer der toten Puppen
Und setz sie nicht unter Druck. Ich will keine Probleme mit den Castells und ihren Freunden«, betonte er. »Die Kollegin Castro kann dich begleiten. Das Mädchen kennt sie schon, und in ihrem Alter vertrauen die jungen Damen den Beamtinnen mehr. Castro, rufen Sie die Martís an und avisieren Sie Ihren Besuch.« Dann wandte sich der Kommissar wieder an Andreu. »Warte einen Moment, wir müssen noch etwas besprechen, zu diesen Selbstverteidigungskursen für Frauen zum Schutz vor häuslicher Gewalt. Ich weiß, dass die Frauen hocherfreut wären, aber kannst du sie wirklich noch weiter geben?«
Bevor sie gingen, schauten Salgado und Castro sich an: Sie hatten nicht den geringsten Zweifel, dass Martina Andreu die Kurse nicht nur weiter geben konnte, sondern es auch wollte.
bist du da?
mensch, aleix, bist du da?
Das kleine Fenster auf dem Bildschirm besagte, »Aleix ist abwesend und kann Ihre Nachrichten vielleicht nicht beantworten«. Das Mädchen biss sich nervös auf die Unterlippe. Sie hatte schon ihr Handy genommen, als der Status ihres Gesprächspartners von abwesend auf beschäftigt sprang.
ich muss mit dir sprechen! melde dich.
Endlich erschien die Antwort, ein »hallo«, begleitet von einem zwinkernden Smiley. Das Geräusch des Türgriffs schreckte sie auf. Sie hatte gerade noch Zeit, das Fenster wegzuklicken, als der Parfümduft ihrer Mutter schon ins Zimmer flutete.
»Gina, Liebes, ich gehe jetzt.« Die Frau blieb an der Schwelle stehen. Sie trug eine weiße Handtasche über der Schulter, offen, und kramte nach etwas, während sie sprach. »Himmel, wo ist nur der blöde Autoschlüssel? Warum machen sie diese Funkdinger nicht einfach noch kleiner!« Schließlich fand sie ihn und zog ein triumphales Lächeln auf. »Schatz, bist du sicher, dass du nicht mitkommen willst?« Ihr Lächeln verschwand, als sie die Augenringe in Ginas Gesichtchen sah. »Du kannst dich nicht den ganzen Sommer hier einschließen, Schatz. Das ist nicht gut. So ein schöner Tag! Also ich brauche jedenfalls frische Luft.«
»Du gehst ins L’Illa, Mama, zehn Minuten von hier«, murrte Gina. »Mit dem Auto. Nicht auf dem Land joggen.«
Falls es noch Zweifel gab, dass Landluft in den Plänen ihrer Mutter nicht vorkam, reichte ein Blick auf ihre Garderobe: weißes Kleid mit Gürtel aus demselben Stoff; weiße Sandalen mit Absätzen, die ihre Einsfünfundsechzig auf leidliche Einszweiundsiebzig hoben; naturblond glänzendes Haar, das auf ihre Schultern tupfte. Vor einem Palmenhintergrund wäre es das perfekte Bild für eine Shampooreklame gewesen.
Regina Ballester überging den Spott. Schon seit langem perlten die bissigen Kommentare dieser Tochter an ihr ab, die, noch um halb zwei im Pyjama, so kindlich aussah wie nie. Sie trat zu ihr und gab ihr einen Kuss auf den Kopf.
»Du kannst nicht so weitermachen, Liebes. Und beruhigt fahren kann ich so auch nicht, wirklich nicht.«
»Mama!« Sie wollte keine Diskussion. Seit Tagen ließ ihre Mutter sie kaum allein, und sie musste mit Aleix sprechen. Dringend. So dass sie ihr, auch wenn der schwere Duft sie noch so störte, erlaubte, sie an sich zu drücken, sie lächelte sogar. Nicht daran zu denken, dass es eine Zeit gab, als sie sich spontan in diese Arme warf, die sie jetzt förmlich erstickten. Selbst das Dekolleté hatte sie sich parfümiert! Aber das Lächeln war mehr maliziös als spontan. »Kommst du an dem Bademodenladen vorbei?« Das funktionierte immer. Ihre Mutter mit etwas zu beauftragen, was die Wörter »Laden« und »kaufen« einschloss, war eine Ruhegarantie. Und auch wenn sie es nicht schwören mochte, aber das parfümierte Dekolleté bedeutete, dass das Einkaufszentrum für ihre Mutter nur ein untergeordnetes Ziel war. »Bringst du mir den mit, den wir im Schaufenster gesehen haben?« Dafür, dass der blöde Badeanzug ihr herzlich egal war und sie nicht daran dachte, auch nur einmal im Sommer an den Strand zu gehen, brachte sie ihre Bitte in einem überzeugenden Ton vor. Sie quengelte auch noch wie ein verwöhntes Balg, was sie selber aus tiefster Seele hasste: »Kauf ihn mir, bitte.«
»Neulich, als wir beide vor dem Laden standen, warst du nicht so begeistert«, erwiderte Regina.
»Ich war angefressen, Mama.« »Angefressen« war ein Wort, das Regina Ballester verabscheute, in ihren Ohren klang es nicht nur gewöhnlich, es beschrieb auch den Gemütszustand ihrer Tochter nur zu gut: traurig, besorgt, schlecht gelaunt, gelangweilt ... »Angefressen« schien unterschiedslos
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