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Der Sommer der toten Puppen

Der Sommer der toten Puppen

Titel: Der Sommer der toten Puppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Hill
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Gewissheit geworden. Der Gedanke amüsierte sie, dass ihre Mutter und Miquel Rovira, der ernsthafte und ultrakatholische Dr. Rovira, jetzt heimlich in einem Hotelzimmer bumsten.
ich geh was essen gi!! bis nachher ok? küsse
    Er wartete nicht auf ihre Antwort. Sein Icon verlor plötzlich die Farbe und ließ sie allein vor dem Bildschirm zurück. Gina schaute sich um: das Bett zerwühlt, die Klamotten über einem Stuhl, die Regale voller Kuscheltiere. Ein Kinderzimmer, sagte sie sich verächtlich. Sie biss sich auf die Unterlippe, bis es blutete, und wischte mit dem Handrücken über die Wunde. Dann stand sie auf, zog aus dem Schrank einen großen leeren Karton, in dem sie vor kurzem noch ihre Schulbücher aufbewahrt hatte, und stellte ihn in die Mitte des Zimmers. Darauf nahm sie die Kuscheltiere eins nach dem anderen und warf sie kopfüber in den Karton. Sie brauchte kaumdrei Minuten, dann war der Deckel zu, und der Karton stand in einer Ecke. Die Wände sahen merkwürdig leer aus. Nackt. Traurig. Seelenlos, hätte ihr Vater gesagt.

8
    Je weiter sie in den Norden der Stadt hinauffuhren, desto leerer wurden die Straßen. Von dem dichten, lärmenden Verkehr in der Umgebung der Plaza Espanya, wo Horden von Motorrädern die kleinste Lücke nutzten, um sich zwischen den Autos durchzuschlängeln, hatten sie es in knapp fünfzehn Minuten bis zur Sarrià mit ihren weiten Horizonten geschafft, quer durch die Stadt in Richtung Autobahnring. An einem solchen Tag, mit blendender Sonne und erstickenden Temperaturen, schien der Himmel sich weiß gefärbt zu haben, und die Berge, schemenhaft erkennbar am Ende der langen Avenida, deuteten das Versprechen auf eine Oase an, die umso erfrischender sein musste, als der Asphalt um drei Uhr nachmittags glühte.
    Vom Beifahrersitz aus betrachtete Héctor die Stadt. Nach seiner Miene zu urteilen, dem traurigen Blick und der leicht gerunzelten Stirn, hätte man meinen können, seine Gedanken schweiften, weit von diesen Straßen entfernt, durch einen Ort, der schattiger war, aber alles andere als angenehm. Er hatte kein Wort gesprochen, seit sie eingestiegen waren und Leire das Lenkrad umfasste. Das Schweigen hätte unbehaglich sein können, wenn nicht auch sie in ihrer Welt verloren gewesen wäre. Eigentlich war sie sogar dankbar für diese friedlichen Minuten. Das Kommissariat war am Vormittag ein einziger Taubenschlag gewesen, und auf ihren Auftritt beim Kommissar war sie alles andere als stolz. Doch das Bild des Teststäbchens, wie es ihre Befürchtungen mit einem kräftigen Lila bestätigte, kam ihr immer wieder in den Sinn.
    Héctor legte den Kopf zurück und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Noch hatte er mit Andreu nicht wieder untervier Augen gesprochen, und er brannte darauf, sie zu fragen, ob es etwas Neues im Fall Dr. Omar gab. Außerdem hatte er am Morgen, als er vom Psychologen kam, seinen Sohn angerufen, und der hatte nicht zurückgerufen. Er sah noch einmal auf sein Handy, als könnte er es klingeln lassen.
    Eine plötzliche Vollbremsung riss ihn in die Wirklichkeit, und er schaute fragend zu seiner Kollegin. Doch als er den Radfahrer sah, einen aus diesem verwegenen Haufen, der seit einiger Zeit die Straßen heimsuchte, begriff er sofort.
    »Tut mir leid«, entschuldigte sich Leire. »Das Fahrrad ist mir plötzlich vors Auto gekommen.«
    Er antwortete nicht, nickte nur zerstreut. Leire schnaufte leise. Das Rad war nicht aus dem Nichts gekommen, sie war nur wieder fürchterlich unaufmerksam gewesen. Scheiße, jetzt reicht es ... Sie atmete tief durch und sagte sich, dass das Schweigen bedrückend war, dass sie mit dem Inspektor ein Gespräch anfangen sollte, bevor er wieder in seinen Gedanken versank.
    »Danke für eben. Im Büro von Kommissar Savall«, begann sie. »Ich war nicht bei der Sache.«
    »Schon gut«, sagte er. »Um ehrlich zu sein, das war nicht zu übersehen.« Er bemühte sich, das Gespräch in Gang zu halten, auch er war das Grübeln leid. »Aber keine Sorge, Savall bellt viel und beißt wenig.«
    Héctor sprach weiter, ohne zu ihr hinzuschauen, den Blick stur geradeaus.
    »Was für einen Eindruck hast du von der Familie Castells?«, fragte er.
    Sie zögerte, ehe sie antwortete.
    »Irgendwie merkwürdig ... Ich dachte, es wäre schwer, sie zu vernehmen. Nach dem Tod ihres erst neunzehnjährigen Sohns.«
    »Und das war es nicht?« Sein Ton war noch angespannt,schnell, aber diesmal schaute er sie an. Leire kam sich vor wie bei einer mündlichen Prüfung, und

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