Der Sommer der toten Puppen
die Roviras mal sehen, wie sie mehr Zeit aufs Tischgebet verwenden als aufs Essen. Wahrscheinlich glauben sie, es zu genießen sei Völlerei oder sonst eine Todsünde. Und Glòria ist andauernd aufgestanden, um nach ihrer Tochter zu sehen, ob ihr die Knallerei auch ja nicht zu viel wurde. Ich sagte ihr, die Chinesen spielen seit Jahrhunderten mit Feuerwerk, aber sie hat mich angesehen, als wäre ich geistesgestört.«
Gina seufzte verärgert auf.
»Mama, sei nicht so fies. Glòria ist nicht hysterisch, und Natàlia ist ein Sonnenschein. Immer wenn ich babysitte, schläft sie sofort ein.« Und zum Inspektor gewandt fügte sie mit einem Schuss Ironie hinzu: »Meine Mutter mag Glòria nicht, weil sie noch Größe sechsunddreißig trägt und außerdem studiert.«
»Gina, red keinen Unsinn. Ich schätze Glòria sehr, sie ist das Beste, was Enric passieren konnte. Eine Frau, wie es sie früher noch gab.« Die Bemerkung mochte als Lob gemeint sein, in ihrem Ton schwang jedoch Verachtung. »Aber das bedeutet nicht, dass der Abend nicht fürchterlich öde war. Mein Mann, Enric und der Priester haben sich lang und breit über die katastrophale Situation ausgelassen, die Katalonien zurzeit erlebt, mit der Krise, dem Werteverfall ... Noch dazu kann man jetzt nicht mal ein Gläschen trinken bei all den Kontrollen in der Johannisnacht.« Sie sagte es, als fiele das direkt in die Zuständigkeit von Inspektor Salgado.
»Um wie viel Uhr sind Sie zurückgekommen?«
»Es mag zwei Uhr gewesen sein, als wir zuhause waren. Salvador kommt morgen von seiner Reise zurück, ich werde ihn fragen, er achtet mehr auf die Uhrzeit als ich.«
Während ihre Mutter noch sprach, stand Gina auf und holte sich ein Taschentuch. Leire ließ sie nicht aus den Augen. Sie weinte nicht mehr, dafür schien in ihrem Gesicht so etwas wie eine kleine Genugtuung auf. Ohne lange zu überlegen, erhob sich Leire ebenfalls und ging zu ihr.
»Entschuldige«, sagte sie, »ich muss eine Tablette nehmen. Hättest du vielleicht ein Glas Wasser? Ich kann mitgehen, du brauchst es mir nicht zu bringen.«
Er spürt einen Schlag auf den Mund, mit dem Handrücken. Die Demütigung ist größer als der Schmerz. Ein Faden salzigen Bluts rinnt ihm über die Lippe.
»Das kommt davon«, sagt die Glatze und tritt ein Stück zurück. »Na los, sei ein guter Junge und versuch es mit einer anderen Antwort.«
Der Kerl steht immer noch so nah, dass ihm sein Atem ins Gesicht weht. Warme Luft, versetzt mit Spucke. Der andere der beiden steht neben ihm und hält den Arm wie eine Zange um seine Schulter. Rubén, der in einer Ecke sitzt, wendet sich ab.
Es ist nicht das erste Mal, dass Aleix an diesem Ort ist, in dieser alten Autowerkstatt im Industriegebiet am Hafen, wo er sich schon öfter Kokain besorgt hat. Deshalb hat er sich von Rubén herbringen lassen, ohne zu ahnen, dass diese zwei Typen schon auf ihn warten. Er weiß nicht einmal ihre Namen, nur, dass sie stinksauer sind. Und zu Recht. Aleix schwitzt, nicht bloß wegen der Hitze. Der erste Faustschlag in die Magengrube nimmt ihm den Atem. Er reißt die Augen auf, ehrlich überrascht. Als er etwas sagen will, spürt er dennächsten Schlag. Und noch einen, und noch einen. Er versucht gar nicht erst, sich von dem Dicken loszureißen, versucht nur sein Gehirn auszuschalten. Sie wissen nicht, dass er als kleiner Junge schon so viele Schmerzen ertragen hat, dass nichts mehr ihn beeindruckt. Immer wieder sagt er sich: Das ist nur ein Wink, eine Warnung. Sie wollen dich nicht umbringen, nur die Kohle. Aber als die Glatze innehält, sieht er sein Gesicht. Das blöde Arschloch genießt es auch noch. Und er wird panisch. Er sieht den lüsternen Blick, die Hand im Schritt, als würde er wichsen. Er versucht sein Entsetzen in einer spöttischen Grimasse aufzufangen. Als er zwei weitere Faustschläge spürt, weiß er, dass er es geschafft hat, und fast ist er dankbar für den Schmerz. Schmerzen sind besser als manches andere.
»Das reicht!« Rubén ist von seinem Stuhl aufgestanden und kommt auf sie zu.
Die Faust vor ihm hängt in der Luft, die Zange lockert sich. Und Aleix sinkt auf die Knie. In einem Nebel aus Schmerzen hört er die Schritte. Rubén kniet sich neben ihn.
»Du kannst von Glück sagen, dass dein Freund dabei ist.« Der Glatzkopf schaut auf die Uhr. »Wir geben dir vier Tage. Am Dienstag kommen wir kassieren.«
Aleix nickt, er kann nichts anderes tun. Dann spürt er, wie sich eine Hand auf seine Schulter legt und ihm
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