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Der Sommer der toten Puppen

Der Sommer der toten Puppen

Titel: Der Sommer der toten Puppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Hill
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natürlichen Reize bewusst, hatten dieses undefinierbare Etwas, nach dem viele andere strebten und was sie nur bewundern oder beneiden konnten.
    Nach fast zwei Stunden Fußmarsch kam er erschöpft zuhause an und ließ sich aufs Sofa fallen. Der Koffer erwartete ihn in der Ecke, er schaute erst gar nicht hin. Er hätte unterwegs etwas essen sollen, aber die Vorstellung, in der Öffentlichkeit allein zu Abend zu essen, war deprimierend. Also rauchte er, um den Hunger mit Nikotin zu stillen, und bekam Schuldgefühle. Auf dem Couchtisch lagen einige Filmklassiker, die er Carmen mal geliehen hatte. Wie lange schon hatte er nicht mehr Das Fenster zum Hof gesehen? Der Film gehörte nicht zu seinen Favoriten, er mochte mehr die beunruhigende Atmosphäre von Die Vögel oder die obsessive Leidenschaft von Vertigo , aber da lag er, griffbereit, und ohne weiter nachzudenken, schob er ihn in den Player. Den Vorspann ersparte er sich und ging in die Küche. Mit einem Bier in der Hand kam er zurück und sah den dunklen Bildschirm. Die DVD lief, er konnte es vorn auf dem Player erkennen, aber die Bilder wollten nicht kommen. Doch dann erschien endlich ein Licht: ein matt flimmerndes, seltsames Leuchten in der Mitte, der Hintergrund verschwommen. Verdutzt sah er, wie der Nebel sich auflöste und das Licht sich weitete. Und er sah, mit starrem Blick, was er nie hätte sehen wollen: sich selbst, das Gesicht vor Wut verzerrt, wie er immer wieder auf einen alten, auf einem Stuhl sitzenden Mann einschlug. Ein Schauder kroch ihm die Wirbelsäule hinauf, doch dann klingelte das Telefon, und vor Schreck ließ er das Bier fallen. Er nahmab, mit einem mulmigen Gefühl, den Blick noch fest auf dieses andere Ich gerichtet, das er kaum erkannte, und hörte eine wütend kreischende Frauenstimme: »Ein Arschloch bist du, scheiß Argentinier. Fick dich doch selber!«

14
    »Bin am we in bcn und würd dich gern sehn. T.« Das war die SMS gewesen, die Leire gelesen hatte, als sie das Haus der Castells verließ. Die Nachricht, auf die sie ohne zu zögern, fast ohne zu denken geantwortet hatte, solche Lust hatte sie, ihn zu sehen. Was sie jetzt, nach einem langen Gespräch mit ihrer besten Freundin, zutiefst bereute; was ihr, abgesehen von der sommerlichen Schwüle und dem schrecklichen Maunzen einer über die Dächer streichenden rolligen Katze, den Schlaf raubte.
    María war eine jener brünetten Schönheiten – der Vater aus Barcelona, die Mutter Italienerin –, welche die Männer der Stadt schier um den Verstand brachten. Zu ihren Einsachtzig und den vollkommenen Rundungen gesellten sich ein breites Lächeln, ein großer Sinn für Humor und das Mundwerk eines Droschkenkutschers.
    »Das ist doch Scheiße!«, plauzte sie mitten im Restaurant los, als Leire ihr von ihren Zweifeln erzählte, ob sie Tomás, in den SMS schlicht »T«, sagen sollte, dass er ihr beim letzten Treffen ein Geschenk in Form eines Embryos hinterlassen hatte. »Hat dir die Schwangerschaft das Hirn aufgeweicht oder was? Das müssen die Kinderhormone sein, die die Frauen verblöden.«
    »Sei nicht so fies.« Leire schob das Tiramisu-Schälchen von sich, das sie nach einem reichlichen Teller Spaghetti Carbonara ausgelöffelt hatte. »Isst du deine Zitronenmousse auf?«
    »Nein! Und du besser auch nicht ... Du bist wie ein Piranha.« Aber dann schob sie ihr die Mousse hin. »Hör zu, ich meine es ernst. Was hast du davon, wenn du es ihm sagst?«
    Leire hielt den Löffel kurz in die Luft, bevor sie zuschlug.
    »Nicht dass ich etwas davon habe. Er ist aber der Vater. Ich glaube, er hat ein Recht zu wissen, dass ein Kind mit seinen Genen durch die Welt spaziert.«
    »Und wo ist das Kind jetzt? Wer trägt es neun Monate lang im Bauch? Wer wird es gebären und dabei schreien wie am Spieß? Er hat bloß ein paar Tierchen abgespritzt und ist losgetingelt, Scheiße! Wenn er am Wochenende schon was vorgehabt hätte, hättest du nichts mehr von ihm gehört.«
    Leire lächelte.
    »Du kannst sagen, was du willst, aber er hat mir eine SMS geschrieben.«
    »Moment mal, was willst du damit sagen? Nein, nicht rot werden, antworte.«
    »Nichts.« Sie steckte sich einen Löffel Mousse in den Mund. Schmeckte köstlich. »Hören wir auf damit. Vielleicht hast du recht. Wenn ich ihn sehe, entscheide ich einfach.«
    »Wenn ich ihn sehe, entscheide ich einfach«, äffte María sie nach. »Hallo, Erde ruft Leire Castro. Darf man wissen, wo Leire ›nicht mehr als ein Date‹ Castro steckt? Wo du selber

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