Der Sommer der toten Puppen
Pol, unbekleidet, am frühen Abend. Ruth erinnerte sich gut an den Tag, aber zu sehen, wie ihre Küsse zu einem billigen und plumpen Video wurden, war einfach nur widerlich, und der Anblick ihrer Körper, wie sie sich an diesem einsamen Strand liebkosten, weckte in ihr ein ungekanntes Schamgefühl. Von da an war alles noch schlimmer geworden. Sie hatte versucht, Carol zur Vernunft zu bringen, hatte ihr gesagt, dass Héctor in Argentinien war, als die Bilder aufgenommen wurden, und dass er, selbst wenn er da gewesen wäre, nie und nimmer etwas so ... Obszönes gemacht hätte. Carol hatte schließlich eingelenkt, auch wenn sie immer wieder vorbrachte, dass es Privatdetektive gebe, die man mit solchen Dingen beauftrage, und sie fragte, wie diese Scheiß-DVD in die Keksschachtel gekommen sei, fragte, warum sie ihren Exmann mehr verteidige als sie, und schließlich die entscheidende Frage stellte: »Was zum Teufel bin ich in deinem Leben?« Fragen, auf die es keine Antwort gab und die Ruth unendlich ermüdeten. Sie wollte den Film nur noch in den Müll werfen und das alles vergessen. Aber vorher, dachte sie, sollte sie Héctor anrufen und mit ihm sprechen, nur ganz kurz, um ihn zu beruhigen, was Carol natürlich absolut nicht verstand. Als sie auflegte, war Carol gegangen, und es war eine Erleichterung, dass sie endlich ganz allein war.
Die Idee, ein paar Tage zu verschwinden, ging ihr immer noch im Kopf herum, auch wenn Carol gar nicht angetan wäre, und das nicht ohne Grund: Sie hatten sich fürs Wochenende etwas vorgenommen, wollten die Gelegenheit nutzen, dass Guillermo erst am Sonntagabend zurückkam. Carol meinte, sie müssten einfach mehr Zeit zusammen verbringen. Zusammen aufwachen, zu Mittag essen, zu Abend essen, schlafen, wie ein echtes Paar. Ruth hatte sie angeschaut und nicht gewusst, wie sie es ihr sagen sollte; dass der Wunsch nach einer solchen Reihe gemeinsamer Aktivitäten, hervorgebracht in einem fast gebieterischen Ton, für sie wie eine Strafe klang. Sie musste Geduld mit Carol haben, sagte sie sich, während sie in ihren zweiten Toast biss. Carol war jung, stürmisch und neigte dazu, Ansprüche zu stellen, wenn sie ihre Liebe zeigen wollte. Doch diese Direktheit, mit der sie es am Anfang, als sie sich letztes Jahr kennenlernten, geschafft hatte, Ruths Schutzmauern einzureißen, erwies sich im Alltag als zermürbend. Carol hatte schwärzere Augen, als Ruth je in ihrem Leben gesehen hatte, und einen perfekten, kräftigen und dennoch weiblichen Körper, geschaffen in zahllosen Stunden Pilates und mit strenger Diät. Sie war eine schöne Frau, ohne Zweifel; nicht einfach hübsch, sondern schön. Außerdem verlieh ihr diese Unsicherheit, die Angst, Ruth könnte ihre mit siebenunddreißig Jahren entdeckte neue Sexualität verleugnen, etwas Zerbrechliches, was in Verbindung mit ihrem Hang zu Extremen unwiderstehlich war. Nie war es gemütlich mit Carol, sagte sich Ruth; sie explodierte und bereute, zeigte kühle Eifersucht und gleich darauf überschäumende Leidenschaft, lachte schallend oder weinte wie ein kleines Mädchen bei einem traurigen Film. Ein wahrer Schatz, ja, aber einer, der erdrückend sein konnte.
Beim zweiten Kaffee stand der Entschluss fest. Sie würde ihre Eltern fragen, und wenn sie nicht selber fuhren, würde sie das Wochenende in deren Apartment in Sitges verbringen. Im Sommer fuhr sie sonst nie, die Menschenmassen gingen ihr auf die Nerven, aber sie brauchte einen Rückzugsort in der Nähe, den sie kannte, und es war besser als nichts. Die Aussicht, drei Tage allein zu verbringen und zu tun, wozu sie Lust hatte, stimmte sie fröhlich, so dass sie trotz der frühen Stunde gleich ihre Mutter anrief, um zu fragen, ob die Wohnung frei war. Sie war zum Glück frei, und ohne eine Sekunde zu verlieren, teilte sie Carol ihre Pläne per SMS mit, ein paar knappe Worte nur, die keine Widerrede duldeten. Dagegen zögerte sie kurz, auch Héctor zu benachrichtigen; nichts zwang sie, ihn über ihr Kommen und Gehen auf dem Laufenden zu halten, aber am Abend hatte sie an seiner Stimme gehört, dass er besorgt war, unruhig, und bei all seinen Schwächen war Héctor kein Mensch, der leicht in Aufregung geriet. Sie drehte das Handy hin und her, bis sie ihn schließlich anrief.
»Ja?« Er hatte abgenommen, kaum dass es klingelte. »Alles in Ordnung?«
»Jaja«, stellte sie rasch klar. »Aber ich habe mir Sorgen gemacht gestern Abend. Du musst mir erzählen, was los ist.«
Er seufzte tief.
»Ehrlich
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