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Der Sommer der toten Puppen

Der Sommer der toten Puppen

Titel: Der Sommer der toten Puppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Hill
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hat. Ich will alles wissen über Aleix Rovira: Wen er anruft, wo er sich herumtreibt. Welche Hobbys er hat, wie man so sagt .... Muss ja einiges sein, wenn er nicht zur Uni geht. Ich habe den Eindruck, dass die beiden Schnösel mit uns spielen. Ich werde ihn für Montag zur Vernehmung vorladen, wir müssen uns also beeilen. Noch Fragen?«
    Leire schüttelte den Kopf, auch wenn ihre Miene dem zu widersprechen schien. Eigentlich sollte sie am Nachmittag Tomás am Bahnhof Sants abholen, und theoretisch hatte sie am Wochenende frei. Sie wollte es schon laut sagen, aberdann dachte sie, dass es ihr vielleicht nicht schlecht bekäme, wenn sie etwas zu tun hatte.
    »Keine Fragen, Inspektor.«
    »Prima. Noch etwas, Marc hat seiner Mutter geschrieben, er hätte hier etwas zu regeln. Ich glaube nicht, dass es von Bedeutung ist, aber ...«
    »Aber in dem Fall tappen wir im Dunkeln, oder?«
    »Im Stockdunkeln.« Er erinnerte sich daran, was Savall ihm gesagt hatte, und fügte nicht ohne ironischen Unterton hinzu: »Vergiss nicht, dass alles ›inoffiziell‹ ist. Ich spreche noch mit dem Kommissar. Vor Montag will ich alle Angaben über Aleix Rovira zusammenhaben. Kümmer du dich um ihn, ich vernehme derweil Óscar Vaquero.«
    Sie schien nicht zu verstehen.
    »Das Dickerchen, mit dem sie sich den Scherz erlaubt haben. Ich weiß, es ist ein paar Jahre her, aber in manchen Fällen erlischt der Groll nie, im Gegenteil.« Ein zynisches Lächeln erschien auf seinem Gesicht. »Das kannst du mir glauben.«

17
    Die Klimaanlage machte einen höllischen Lärm. Bei zugezogenen Vorhängen – steife Stofflappen, moosgrün –, welche die pralle Sonne abhalten sollten, die um diese Uhrzeit auf die Stadt brannte, erinnerten die Geräusche an das stoßweise Brüllen einer Bestie aus der Unterwelt. Es hätte ein Motel an der Landstraße sein können, eine dieser tristen Absteigen, die bei aller Schäbigkeit etwas Romantisches oder zumindest Sinnliches ausstrahlen, mit Zimmern, die nach verschwitzten Laken riechen und hingegebenen Körpern, nach flüchtigem, aber unvermeidlichem Sex; nach niemals ganz gestillter Lust, billigem Parfüm und rascher Dusche.
    Aber es war kein Motel, sondern eine Pension nahe der Plaza Universitat, diskret und sogar sauber, wenn man sie wohlwollend betrachtete – oder besser gesagt, wenn man nicht allzu genau hinsah –, bekannt für Zimmervermietung stundenweise. Aufgrund der Nähe zum »Gayxample«, dem schwulsten aller Viertel Barcelonas, bestand der größte Teil der Kundschaft aus Homosexuellen, was Regina in gewisser Weise beruhigte.
    Seit Anfang des Jahres war sie mehr oder weniger regelmäßig in die Pension gegangen, ohne je einem bekannten Gesicht zu begegnen. Das Schlimmste war der Moment, wenn sie hineinging oder herauskam, aber bisher hatte sie Glück gehabt. Wahrscheinlich weil es ihr im Grunde egal war. Nicht dass sie und Salvador in einer offenen Beziehung lebten, aber seit ihr Mann nicht mehr mit ihr schlief, musste es für ihn auf der Hand liegen, dass zumindest ab und zu jemand seinen Platz im Bett einnahm. Und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, musste sie zugeben, dass sie den sechzehn Jahre älterenSalvador nicht geheiratet hatte, weil er toll im Bett gewesen wäre, auch wenn es in den ersten Jahren keinen Grund zur Klage gab. Nein, Regina war keine besonders leidenschaftliche Frau, sehr wohl aber stolz. Seit einundzwanzig Jahren war sie verheiratet, und in der ersten Hälfte dieser Zeit war sie unglaublich glücklich gewesen. Salvador vergötterte sie, mit einer Ergebenheit, die unerschütterlich schien, ewiglich. Sie blühte auf unter seinen schmeichelnden Worten, unter seinen Blicken, die sie umfingen wie ein eng anliegender Body, der die Rundungen betont, ohne zu drücken.
    Doch als sie den recht unkonventionell attraktiven, großen, schon grauhaarigen Herrn zu heiraten beschloss, hatte sie mit einem nicht gerechnet: dass die Vorlieben dieses namhaften Intellektuellen sich mit den Jahren nicht änderten. Wenn Salvador mit vierundvierzig Jahren den Mädchen Anfang zwanzig nachschaute, richtete sich mit vierundsechzig Jahren, nunmehr durch glückliche Fügungen ein populärer Autor, sein Interesse weiterhin auf die gleichen jungen Körper, die gleichen beleidigend glatten Gesichter. Die nur Wasser und Seife brauchen, um zu strahlen. Und die jungen Damen, die noch dümmer waren als seinerzeit Regina, fanden ihn distinguiert, intelligent, charmant. Sogar romantisch. Mit Hingabe lasen sie seine

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