der melancholischen Erscheinung und den freundlichen Augen zu vertrauen.
»Neulich habe ich wieder eine E-Mail bekommen.« Sie suchte in ihrer Handtasche und zog den Ausdruck hervor. »Lesen Sie.«
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Hallo ... Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen schreibe, aber ich wusste nicht, an wen ich mich wenden soll. Ich habe erfahren, was passiert ist, und ich glaube, wir sollten uns treffen. Es ist wichtig, dass Sie niemandem ein Wort sagen, bis wir persönlich miteinander gesprochen haben. Bitte, tun Sie es für Marc, ich weiß, dass Sie sich schon geschrieben hatten, und ich hoffe, ich kann Ihnen vertrauen.
Am nächsten Sonntagmorgen fliege ich von Dublin nach Barcelona. Ich würde Sie gerne umgehend treffen und Ihnen ein paar Dinge über Marc erzählen ... und über mich.
Vielen Dank,
Immeriris
Héctor blickte von den Zeilen auf.
»Das verstehe ich nicht.« Die losen Enden des Falles schienen sich zu vervielfachen, in verschiedene Richtungen zu weisen. Wenn er eine halbe Stunde vorher noch ziemlich sicher gewesen war, dass die Rauferei zwischen Aleix und Marc mit Drogen zu tun gehabt hatte, tauchte jetzt erneut dieser Name auf, Iris. Auf dem Handy von Marc war eine Iris gespeichert. »Immeriris. Eine merkwürdige Art, Mails zu unterschreiben, findest du nicht? Als wäre das nicht ihr Name, sondern eine Art Huldigung.«
Joana nahm den Gin Tonic, ihre Hand zitterte. Sie hielt das Glas an die Lippen, trank aber nichts. Das Thekengespräch erreichte schon den Lärmpegel einer leidenschaftlichen Diskussion.
»Gestern war ich drauf und dran, es meinem Exmann zu sagen. Ihn zu fragen, ob er etwas von dieser Iris weiß, ob der Name ihm vertraut klingt. Aber er war so unerbittlich, dass ich den Gedanken verwarf. Außerdem hatte das Mädchen mich gebeten, niemandem davon zu erzählen, als wäre sie in Gefahr, als wollte sie etwas verbergen ...«
»Es war richtig, dass du es mir gesagt hast«, versicherte ihr Héctor.
»Das hoffe ich.« Joana lächelte. »Ich erkenne Enric kaum noch wieder. Weißt du was? Als wir verliebt waren, dachte ich, wir würden für immer zusammen sein.«
»Denken wir das nicht alle?«
»Vermutlich, ja. Aber als wir heirateten, wurde auf einmal alles anders ...«
»Bist du deshalb gegangen?«
»Ja, und weil die Vorstellung, Mutter zu sein, mir Angst machte.«
Joana trank ihren Gin Tonic aus und stellte das Glas wieder auf den Tisch.
»Klingt fürchterlich, nicht?«
»Angst ist menschlich. Nur die Dummen sind davon frei.«
Sie lachte.
»Guter Versuch, Inspektor Salgado.« Sie schaute zur Tür. »Was hältst du von einem kleinen Spaziergang? Ich glaube, es hat aufgehört zu regnen. Ich brauche frische Luft.«
Die Stadt, schon im Wochenendfieber, erstrahlte im zarten Glanz der Tropfen. Eine leichte Brise wehte, und die nassen Straßen atmeten eine Frische, für die man nach diesen unglaublich schwülen Tagen dankbar war. Héctor und Joana bummelten ziellos dahin, steuerten auf die Plaza Espanya zu, und als sie dort ankamen, hörten sie fröhliche Ethnomusik, offenbar wurde nahe dem Palast am Montjuïc eins der vielen Sommerfeste gefeiert. Sie lenkten beide, ohne ein Wort, ihre Schritte auf die Musik zu. Es wurde dunkel, die erleuchtete Bühne zog sie an. An den Ständen türmten sich Berge von Empanadas, Tacos und Mojitos zwischen bunten Fähnchen und Pfützen.
»Darf ich dich fragen, ob du verheiratet bist?«, fragte sie, während auf der Bühne eine Salsagruppe tanzte.
»Das war ich.«
»Ein weiteres Opfer der erkalteten Liebe?«
»Wer nicht.«
Sie lachte. Schon lange hatte er sich in Gesellschaft nicht mehr so wohl gefühlt. Er hielt an einem der Stände an und bestellte zwei Mojitos.
»Das solltest du nicht, Inspektor. Man lädt eine ledige Dame nicht zu mehr als einem Glas ein.«
»Pst, bitte.« Als er bezahlte, nahm er sein Handy und sah, dass er drei Anrufe verpasst hatte. »Entschuldige mich einen Moment«, sagte er und ging ein paar Schritte zur Seite. »Was? Entschuldige, ich bin auf der Straße. Es ist sehr laut, deshalb habe ich das Handy nicht gehört. Was? Wann? In der Wohnung? Ich komme hin.«
Joana hielt die beiden Mojitos in Händen und lenkte den Blick zur Bühne. Im Hintergrund spien die Brunnen am Montjuïc ihre bunten Fontänen, und die Straße füllte sich mit Menschen, die genau wie sie beschlossen hatten, nach dem Regenschauer zum Fest zu gehen. Der Mojito war wässrig. Sie nahm einen kräftigen Schluck und