Der Sommer der toten Puppen
ihm, soweit ich gehört habe.«
»Was hast du gehört?«
»Sagen wir, Aleix hat sich auf die wild side geschlagen. Und ich glaube, er ist so verrückt, dass er glaubt, er wäre ein knallharter Junge. Sie wissen, was ich meine, Inspektor Salgado.«
»Nein. Knallhart in welchem Sinn?«
»Sehen Sie, alle Welt weiß, wenn man etwas fürs Wochenende braucht, wenn man es sich gutgehen lassen will, muss man nur Aleix anrufen.«
»Er ist ein Dealer?«
»Er war ein Amateurdealer, aber ich glaube, in letzter Zeit nimmt er es ernster. Dealen und Konsumieren. Heißt es zumindest. Und dass er sich mit nicht ganz koscheren Leuten einlässt.«
Als Héctor jetzt den Namen des anderen Jungen sah, in gleichem Alter und vorbestraft wegen Besitzes von Kokain, begriff er sofort, dass Óscar nicht gelogen hatte. Er wusste nicht, ob es mit Marcs Tod in Verbindung stand, aber Aleix Rovira würde ihm viele Dinge erklären müssen: die Schlägereien, die Drogen, die Sachen, die andere für ihn ausbaden mussten ... Er hatte Lust, diesen Typen in die Mangel zu nehmen. Und jetzt hatte er etwas, womit er Druck ausüben konnte.
»Inspektor?«
Als er die Stimme hörte, fuhr er auf.
»Señora Vidal. Wollten Sie zu mir?«
»Ja. Aber nennen Sie mich Joana, bitte. Bei Señora Vidal muss ich immer an meine Mutter denken.«
Sie trug dieselbe Garderobe wie vorhin und schien müde zu sein.
»Möchten Sie sich setzen?«
Sie zögerte.
»Ich würde lieber ... Macht es Ihnen etwas aus, wenn wir etwas trinken gehen?«
»Nein, natürlich nicht. Ich kann Ihnen einen Kaffee anbieten, wenn Sie möchten.«
»Ich dachte eher an einen Gin Tonic, Herr Inspektor, nicht an einen Kaffee.«
Er sah auf die Uhr und lächelte.
»Héctor, bitte. Und recht hast du. Kaffee nach sieben, und man steht senkrecht im Bett.«
Als sie hinaustraten, goss es in Strömen, so dass sie ins nächstbeste Lokal gingen, eine dieser Kneipen mit Mittagsmenü, die abends nur dank der Stammgäste überleben, Männer, die sich nicht von der Theke fortbewegen, ein Bier nach dem anderen trinken und über Fußball reden. Die Tische waren frei, und unter den missbilligenden Blicken des Kellners führte Héctor Joana zu einem, der am weitesten von der Theke entfernt stand. Der Kellner wischte lustlos den Tisch ab, mit den Ohren mehr bei der Thekendiskussion über die neuen Verpflichtungen von Barça als bei den Wünschen der Kundschaft. Gleichwohl beeilte er sich, ihnen zwei randvolle Gin Tonic zu bringen, weniger aus Großzügigkeit denn als Hinweis, ihn bei seiner Gesprächsrunde in Ruhe zu lassen.
»Rauchst du?«, fragte Héctor.
Sie schüttelte den Kopf.
»Habe vor Jahren aufgehört. In Paris konnte man nirgendwo rauchen.«
»Hier wird es auch nicht mehr lange dauern. Aber noch halten wir stand. Stört es dich?«
»Gar nicht. Ich mag es sogar.«
Beiden war auf einmal unbehaglich zumute. Sie waren wie zwei Unbekannte, die in einer schäbigen Kneipe angebändelt haben und sich fragen, was zum Teufel sie da tun. Héctor räusperte sich und trank einen Schluck. Er verzog das Gesicht.
»Das ist ja grauenhaft.«
»Bringt uns schon nicht um«, erwiderte sie. Und trank einen mutigen, langen Schluck.
»Warum bist du aufs Kommissariat gekommen? Weil du uns nicht alles erzählt hast, kann das sein?«
»Mir war klar, dass du es gemerkt hast ...«
»Sieh mal ...« Das Duzen behagte ihm nicht, aber er fuhr fort. »Ich will ganz offen sein, auch wenn es dir unhöflich erscheint. Dieser Fall könnte einer sein, der niemals aufgeklärt wird. Ich habe in meiner Laufbahn nicht viele solcher Fälleerlebt, aber immer blieb ein Zweifel. Ist er gestürzt? Gesprungen? Hat man ihn gestoßen? Ohne Zeugen und mit nur wenigen Indizien, die auf ein mögliches Verbrechen deuten, werden sie am Ende, mangels anderer Beweismittel, als tödlicher Unfall eingeordnet. Und der Zweifel verschwindet nicht.«
»Ich weiß. Genau das will ich ja verhindern. Ich muss die Wahrheit wissen. Es wird dir widersprüchlich erscheinen, und auch mein Exmann meint jedes Mal, mein Interesse komme reichlich spät. Aber ich werde nicht eher Ruhe geben, als bis ich weiß, was passiert ist.«
»Vielleicht war es ein Unfall. Damit musst du rechnen.«
»Sobald ihr es mir mit Sicherheit sagen könnt, werde ich euch glauben. Wirklich.«
Sie nahmen gleichzeitig einen Schluck. Das Eis schmolz, und der Gin Tonic wie auch die Worte gingen jetzt leichter über die Lippen. Joana holte tief Luft und beschloss, diesem Inspektor mit
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