Der Sommer der toten Puppen
in die Sache bringen.
»Was ist passiert?«
Fèlix Castells senkte den Blick, und in seinem Gesicht schien etwas auf, was Zweifel sein konnte oder Reue. Oder beides zusammen. Ein flüchtiger Ausdruck nur, aber doch deutlich.
»Niemand weiß, was genau passiert ist, Herr Inspektor.« Er sah ihm wieder in die Augen, wollte sich offen geben. »Am nächsten Morgen, es war noch sehr früh, weckten mich die Schreie eines Kindes. Ich brauchte ein bisschen, bis mir klar wurde, dass es Marc war, und dann bin ich aus dem Zimmer gerannt. Marc schrie immer weiter, vom Schwimmbecken her.« Er hielt inne und schluckte. »Ich habe sie gleich gesehen. Ich bin ins Wasser gesprungen und habe versucht, sie wiederzubeleben, aber es war zu spät.«
»War noch jemand am Becken?«
»Nein. Nur mein Neffe und ich. Ich sagte ihm, er solle gehen, aber er hat nicht auf mich gehört. Ich wollte ihm ersparen, den toten Körper des Mädchens auf dem Boden liegen zu sehen, deshalb blieb ich im Wasser, mit Iris in den Armen.Ich habe jetzt noch ihr erschrockenes Kindergesichtchen vor Augen ...«
»Und die Puppen.«
»Woher wissen Sie das?« Der Priester strich sich übers Kinn. Seine Verstörung schien echt zu sein. »Es war ... unheimlich. Ein halbes Dutzend schwamm im Wasser.«
Kleine tote Iris , erinnerte sich Héctor. Er wartete ein paar Sekunden, bevor er fortfuhr.
»Wer hat sie hineingeworfen?«
»Iris, nehme ich an ...« Er rang um Beherrschung, doch dann stiegen ihm die Tränen in die Augen. »Dem Mädchen ging es nicht gut, Herr Inspektor. Ich habe es einfach nicht gesehen. Ich habe zu spät bemerkt, dass sie psychisch gestört war ... stark gestört.«
»Wollen Sie sagen, dieses zwölfjährige Mädchen hätte sich umgebracht?«
»Auf keinen Fall, nein! Es muss ein Unfall gewesen sein. Ich sagte Ihnen schon, dass Iris sehr schwächlich war. Damals haben wir angenommen, dass sie nachts mit den Puppen zum Schwimmbecken gegangen ist, dass ihr schwindlig wurde und sie ins Wasser fiel.«
»Haben wir angenommen? Wer war alles im Haus?«
»Die nächste Kindergruppe sollte erst drei Tage später kommen, wir waren also allein: Marc, die Köchin, ihre Töchter Iris und Inés und ich. Die Betreuer sollten am Nachmittag kommen. Einige waren bei allen Freizeiten dabei, andere haben im Laufe des Sommers gewechselt. Aber selbst die Festen haben diese Tage in der Stadt verbracht. Man kann die jungen Leute nicht zu lange im Lager behalten, Herr Inspektor. Sie langweilen sich.«
Héctor ahnte, dass der Priester noch nicht am Ende war. Dass es noch etwas gab, was er erzählen musste, jetzt, wo er sich aus der Deckung getraut hatte. Er musste nicht lange warten.
»Herr Inspektor, Iris’ Mutter war eine gute Frau, und ihren Mann hatte sie schon verloren. Dass ihre Tochter freiwillig aus dem Leben geschieden sein könnte, diesen Gedanken hätte sie nicht verkraftet.«
»Sagen Sie mir die Wahrheit, Pater«, sagte Salgado sehr bestimmt. »Vergessen Sie Ihre Soutane, Ihre Gelübde und die Mutter des Mädchens und was sie verkraftet hätte oder nicht.«
Castells atmete tief ein und kniff die Augen ein wenig zusammen. Dann sprach er entschlossen, sehr leise und fast ohne innezuhalten.
»Als ich am Abend mit ihr schimpfte, weil sie ausgerissen war, sah Iris mich sehr ernst an und sagte: ›Ich habe euch nicht gebeten, nach mir zu suchen.‹ Und als ich noch einmal unterstrich, wie sehr wir wegen ihr gelitten hätten und dass es wirklich ein böser Streich gewesen sei, lächelte sie mich an und sagte nur: ›Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie böse ich sein kann.‹«
Von seinem Platz aus sah Héctor, wie Leire Castro den Kopf durch die Tür des Cafés steckte.
»Gibt es noch etwas, was Sie mir sagen möchten, Pater?«
»Nein. Ich würde nur gerne wissen, was das Ganze jetzt soll. Alte Tragödien auszugraben hilft niemandem.«
»Wussten Sie, dass Ihr Neffe Marc ein Blog schrieb?«
»Nein. Ich weiß nicht einmal genau, was das ist, Herr Inspektor.«
»Eine Art Tagebuch im Internet. Darin sprach er von Iris, von dem Tag, an dem er sie fand.«
»Aha. Ich dachte, er hätte es vergessen. Nach dem Sommer hat er sie nie wieder erwähnt.«
»Aber er hat sich erinnert, als er in Dublin war. Und darüber geschrieben.«
Leire stand immer noch in der Tür. Héctor wollte sich schon verabschieden, als Fèlix hinzufügte:
»Inspektor ... Wenn Sie noch Fragen haben, besprechen Sie es bitte mit Kommissar Savall.«
»Mit Savall?«
»Damals war er
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