Der Sommer der Toten
Juni war es, um diese Tageszeit etwa. Ich komme hier zum Haus, klopfe an. Deine Mama kommt raus. In deinem Alter war sie etwa, sah dir sehr ähnlich, nur hatte sie schon graues Haar an den Schläfen. Ich sagte: ›Wie ich höre, brauchen Sie eine Hilfskraft.‹ Ja, genau das sagte ich. Und sie sagte: ›Da müssen Sie mit Papa reden.‹ So nannte sie ihn, denn du warst damals unterwegs, wenn du weißt, was ich meine, und dein Pa redete dauernd von einem Sohn …«
Papa spie Tabaksaft aus.
»… wie alt bist du? Etwa ein Jahr jünger als Butch, schätze ich.«
Katie nickte.
Otto deutete mit dem Daumen zu dem Fleisch- und Muskelberg auf dem Wagen. »Waren die schönsten Tage meines Lebens, als Butch noch klein war.« Butch reagierte auf die Nennung seines Namens überhaupt nicht. Füße und Kopf schwangen noch immer im Takt des laufenden Motors.
»Butch wird langsam nervös«, meinte Otto und spukte Old Robert eine Prise Tabaksaft mitten auf die Schnauze.
Der Hundeveteran sah gekränkt drein, leckte über seine Schnauze und hob dabei versöhnlich den Schwanz zum Wedeln, um anzudeuten, daß er Otto nicht gram wäre.
Otto war es ohnehin egal.
»Na, Ben, möchtest du mir heute nicht deine Letzten Vierzig verkaufen? Wenn ich die endlich habe, dann gehört mir alles Land um den Fox Lake, mit Ausnahme von Aggies schäbigem Fleckchen. Aber das kriege ich später auch noch.«
Er stieß ein bellendes Lachen aus.
Die Antwort ihres Vaters setzte Katie nicht wenig in Erstaunen. Noch vor wenigen Jahren hätte er auf Ottos Habgier mit entrüsteter Ablehnung reagiert. Vielleicht hatten die Umstände ihn mürbe gemacht und er war umgänglicher geworden. Er schob den Tabak in die andere Wange und sagte: »Wenn wir all die Jahre wieder ablaufen ließen, dann bleiben mir vielleicht mehr als nur die Letzten Vierzig.«
Otto lachte auf und spähte seine lange Nase entlang.
»Ich würde auch dann meine Chancen nützen«, sagte er.
Er sah sich nach Butch um. Der Riese hing noch immer schlaff auf dem Wagen.
»Na denn«, sagte Papa.
»Na denn«, kam Ottos Antwort.
Beide spuckten aus. Old Robert raffte sich auf, stolzierte davon und verkroch sich unter Papas altem Auto. Der Traktor rüttelte rhythmisch und laut, so daß das Geräusch von den Scheunenwänden widerhallte.
»Wie geht’s der Frau?« erkundigte sich Otto.
»Könnte besser sein.«
»Du hast Aggie Jensen?«
»Hm.«
»Und dazu Katie.« Wieder ein breites Lächeln zu Katie hin mit einem Blick, der zu freundlich ausfiel. Und zu lang.
»Hm«, äußerte Papa.
»Wird schon gutgehen«, sagte Otto …
Es kann nicht gutgehen. Dieser Satz drängte sich Katie auf. Hatte das Mama nicht gesagt …?
»… wird schon gutgehen. Wenn die beiden helfen«, ergänzte Otto. »War Reverend Mauslocher schon da?«
»Noch nicht. Bloß Bates.«
»Jaja, ein guter Arzt. Mit ihm und dem Reverend wird alles gutgehen.«
»Denke schon«, sagte Papa.
Katie sah von einem zum andern. Sie fuhren fort, sich über Mama zu unterhalten, unverständlich und ländlich, und doch hatte Katie das sichere Gefühl, daß in ihren Worten ein gewisser Unterton mitschwang. Sie spürte, daß ihr etwas entging, etwas ganz Einfaches und Sichtbares, das sich hinter ihren Worten versteckte.
»Du bist nicht zufällig interessiert, mir ein paar Heuballen zu verkaufen«, fragte Otto schließlich vorsichtig.
Das war also der Punkt, auf den die ganze komplizierte Einleitung hinauslief. Kein Höflichkeitsbesuch. Kein Krankenbesuch. Nicht mal die »Letzten Vierzig«, wenigstens diesmal nicht. Otto wollte bloß von dem Heu, das in Papas Scheune lagerte. Gleich zur Sache zu kommen, wäre ein schwerer Formfehler gewesen, eine grobe Verletzung dörflicher Gepflogenheiten.
»Ja, ich glaube, ich kann eine Wagenladung leicht entbehren.«
»Na, dann sage ich Butch, er soll sich ans Aufladen machen.«
Otto ging zum Traktor und fing zu reden und wild zu gestikulieren an. Er deutete auf die Scheune. Endlich hatte Butch begriffen. Er ließ sich vom Wagen gleiten und schlurfte zum Traktor. Beide fuhren den Traktor leidenschaftlich gerne.
»Kommst du mit Otto jetzt besser aus?« fragte Katie ihren Vater leise.
»Möglich.«
»Und warum?«
»Die Zeit vergeht eben.«
Katie ging ins Haus. Obwohl der Handel prinzipiell getätigt war, mußte jetzt einige Zeit mit dem Feilschen zugebracht werden, während Butch hinter der Scheune den Wagen belud.
Aggie hatte mittlerweile das Geschirr gespült und getrocknet.
»Warum sagst du
Weitere Kostenlose Bücher