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Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
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nichts? Ich hätte dir geholfen.«
    »Spielt keine Rolle. Du hast jetzt genug um die Ohren. Warum gehst du nicht an die Luft? Machst einen Spaziergang? Das wird dich ablenken. Ich mache deiner Ma etwas zu essen. Ich habe das Gefühl, sie wird bald zu sich kommen. Ich möchte ihr etwas geben, bevor der alte Quacksalber kommt.«
    »Aggie?«
    »Schieß los.«
    »Geht hier in der Gegend nicht etwas Seltsames vor? Im Dorf?«
    »Schätzchen, seit ich in den Windeln lag, gehen hier nur seltsame Dinge vor.«
    »Und was ist mit Mama?«
    »Da zerbrich dir nicht den Kopf. Wenn es uns glückt, Mama wach zu halten und ihr ein paar Fragen zu stellen, können wir einiges herausbekommen. Schließlich kann sie mit ›Ja‹ und ›Nein‹ antworten.«
    »Aber auf welche Fragen?«
    »Ich habe darüber nachgedacht«, sagte Aggie. »Und jetzt geh spazieren, Luft schnappen. Du wirst dich gleich besser fühlen … Hör mal, Schätzchen«, setzte sie hinzu, als wäre ihr etwas eingefallen, »hat sich hier jemand geschnitten?«
    »Geschnitten? Nicht daß ich wüßte. Warum fragst du?«
    »Sieh mal diese Papierhandtücher im Abfalleimer. Wenn das kein Blut ist, will ich nicht Aggie Jensen heißen.«

 
II
     
     
    Katie ging durch die Hintertür hinaus. Sie wollte Papa und Otto Ronsky nicht stören. Und aus irgendeinem Grund wollte sie nicht gesehen werden. Ottos Blick hatte etwas Dunkles und Unerklärliches enthalten, ähnlich wie die rätselhaften Andeutungen ihres Vaters. Worte, die mehr als nur Worte waren. Fragen, die sinnlos waren. Antworten, die keine waren. Sie fühlte sich unbehaglich. Es ging irgend etwas Unbegreifliches vor …
    Heute morgen beispielsweise war die Kellertür noch versperrt gewesen. Und sie hatte sich nicht getraut, ihren Vater um den Schlüssel zu bitten. Und das Blut. Nun ja, Papa hatte sich vielleicht geschnitten. Aber nein, er hatte behauptet, es wäre Ruß. Aber es hatte im Licht feucht geschimmert. Vielleicht hatte er sich doch geschnitten und wollte sie nicht beunruhigen. Das würde allerdings alles erklären – bloß nicht die versperrte Kellertür.
    Katie ging über den vernachlässigten Rasen, auf dem Löwenzahn und Klee wucherten. Während des ganzen Frühjahrs war hier nicht gemäht worden. Sie bummelte durch den Obstgarten und hielt auf den dichten Windschutz aus Pappeln und Kiefern zu. Sie war nicht erpicht auf Erinnerungen, doch sie wurde von ihnen geradezu überflutet und fühlte sich wieder als Kind. Lange Sommernachmittage, längst entschwunden, Spiele unter diesen Bäumen mit Judy Krause, der jetzigen Judy Boomer. Dann waren Judys Eltern nach St. Cloud umgezogen. Sie sollte Judy anrufen und vielleicht besuchen. Diese Nachmittage unter den Apfelbäumen, die einer unwiederbringlichen Zeit angehörten. War sie erwachsen geworden? Ein wenig zumindest. Sie war jedenfalls älter. Katie war traurig. Die vielen Möglichkeiten des Lebens, von denen sie als kleines Mädchen geträumt hatte, waren von Zeit und Zufall auf dieses vergängliche, veränderliche Heute eingeengt worden. Die Zukunft bot wenig genug: Papa, Mama, David und mit ein wenig Glück am Zweiundzwanzigsten …
    Sie war betrübt, verwirrt, voller Zweifel, und schob das alles von sich weg.
    Sie arbeitete sich den Windschutz entlang, hinter dem vom Einsturz bedrohten Getreidespeicher durch, dessen Dach unter der Schneelast nachgegeben hatte. Am Ende des Windschutzes angelangt, hielt sie auf die Hinterseite des Geräteschuppens zu. Das Land roch üppig, fruchtbar, sonnverbrannt. Die Felder breiteten sich wellig aus, grün und schimmernd. Eine heiße Sonne stieg über den Bäumen hoch.
    Die heiße Luft tanzte, blendete und schimmerte über dem strahlend hellen Weizen. Der Fox Lake glich einer flachen Scheibe aus gleißendem Gold. Ihre Augen schmerzten.
    Der Geräte- und Maschinenschuppen, ein flacher, wettergegerbter Bau duckte sich unter die überhängenden Bäume. Ihr Vater hatte darin im Schein einer Laterne gearbeitet. Was hatte er gemacht? Neugierig zwängte sie sich zwischen den Ranken und Pflanzen hindurch und stand schließlich hinter dem Schuppen. Wie der Getreidespeicher war auch der Schuppen schon recht baufällig. Ein altes hölzernes – Vogelhaus, gleichfalls in jämmerlichem Zustand, hing windschief auf einem Zaunpfahl inmitten von Unkraut. Es sah verlassen aus. Von dichtem Blattwerk verborgen, zirpten ein paar Vögel.
    Sie ging die ganze Länge des Schuppens entlang und entdeckte, daß an der Ecke ein paar Bretter lose waren.

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