Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
Vom Netzwerk:
darüber wußte man im Wagonwheel Bescheid. Der liebe gute Butch war immer schon gern zu Aggie rüber und hatte sich von ihr hätscheln lassen, aber diesmal hatte sein armes schwaches Gehirn ihn im Stich gelassen, und er war übergeschnappt. Und Aggie war das Opfer. Wirklich schlimm, lieber Gott, furchtbar. Da kann man eben nichts machen.
    Barney war derjenige, der das zweite Opfer entdeckte. Oder vielmehr darüber stolperte. Es war der Bernhardiner. Seine Kehle war durchschnitten, das Fell blutverklebt.
    Das war Barneys großer Augenblick, fast so, als wäre er eigens für solche Katastrophen ausgebildet. Er war der Situation jedenfalls voll und ganz gewachsen. Für gewöhnlich sind Grobheit und barsches Wesen nicht sonderlich beliebt. Doch im Angesicht des Todes und des Grauens waren es die Eigenschaften, die einem über das Ärgste hinweghalfen.
    Er bedeckte Aggies Leichnam mit einem Laken. Die beiden jungen Frauen wandten sich weinend ab.
    Barney absolvierte indessen seelenruhig die routinemäßigen »Ermittlungen«: Skizze des Tatortes, Fotos mit einer uralten Kamera und dergleichen mehr. Dabei äußerte er tröstlich: »Soll ich euch sagen, wo jetzt mein Arm ist? In einem Einmachglas auf dem Friedhof. Dort, wo ich mal liegen werde. Reverend Mauslocher hat mir dazu geraten. Am Tag der Auferstehung werden wir alle neu erstehen. Verdammt«, stieß er plötzlich hervor und warf einen Blick auf das Blut und die Hirnmasse am Boden. »Bei der alten Aggie wird das schwierig sein.«
    »Sollen wir den Reverend holen?« Judy Boomer trocknete ihre Tränen.
    »Verdammter Mist … ach, Entschuldigung … zu spät.« Barney verwarf den Vorschlag mit einer abschätzigen Daumenbewegung.
    »Sie war zwar bei keiner Kirche«, brachte Katie heraus. »Aber sie … sie half den Menschen.«
    Am liebsten hätte sie gleich wieder losgeheult.
    »Okay, das wär’s«, sagte der Polizist und wischte sich die Hände ab.
    »Wirst du nicht den Distriktsheriff holen?«
    »Nee. Ich vertrete hier das Gesetz. Ich habe die Amtsgewalt. Das schaffen wir hier allein in St. Alazara.«
    Er ging ans Telefon – vermutlich einer der letzten Anschlüsse des Dorfes – und wählte Hercules’ Nummer. Herc solle sofort rüber zu Dolph Pelser, dem Leichenbestatter, und der solle gefälligst seinen Hintern in Bewegung setzen und die Leiche holen. Er sagte tatsächlich Leiche. »Noch was, Herc«, setzte er hinzu. »Sieh zu, daß auch die Zelle bereit ist, ja. Ich schaffe dann den Täter rein, sobald ich hier ein paar Punkte geklärt habe.«
    Er beruhigte Judy und brachte sie zu ihrem Häuschen.
    Den Kadaver des Bernhardiners warf er in den Kofferraum seines »Einsatzfahrzeuges«.
    »Bist du sicher, daß Judy nichts passieren wird?«
    »Keine Angst, Katie«, sagte er. »Wie ich Butch kenne, hat er sich inzwischen längst bei seinem Pa verkrochen. Steig ein. Ich fahre dich selbst nach Hause. Dein Pa kann den Wagen hier später abholen. Außerdem brauche ich deinen Pa. Ich brauche einen großen, kräftigen Mann, wenn ich Butch einloche.«
    Fabelhaft, wie er den alten Ford mit einem Arm steuerte.
    Ben hatte den Wagen über die Brücke rumpeln gehört, er wartete bereits im Hof. Er sagte kein Wort, während Barney erklärte, was passiert war. Old Robert knurrte den Polizisten an.
    »Halt die Klappe«, mahnte Ben ihn. »Katie, du bleibst bei deiner Mama«, sagte er und legte für einen Augenblick den Arm um sie. »Es wird nicht lange dauern. In spätestens zwei Stunden bin ich wieder da.«
    Barney nickte. »Falls uns Otto keine Schwierigkeiten macht.«
    »Glaube ich nicht«, sagte Papa. »Katie, soll Doc Bates kommen? Brauchst du etwas zur Beruhigung?«
    »Nein. Auf keinen Fall«, antwortete Katie hastig.

 
IV
     
     
    Der Krug mit dem Apfelschnaps stand noch auf dem Tisch neben der Petroleumlampe. Katie goß sich mit zitternden Händen ein Gläschen ein. Das flackernde Licht warf unheimliche Schatten an Wände und Decke. Als sie das elektrische Licht anknipsen wollte, geschah nichts.
    »Verdammt«, sagte sie laut. Papa! Fast wäre sie wieder in Tränen ausgebrochen. »Aggie … warum nur …?«
    Was für eine Dorfgemeinschaft war das, die ein Wesen wie Butch Ronsky frei herumlaufen ließ?
    Und was für Menschen lebten hier in dieser Gegend?
    Und Aggie …!
    Aggies Tod hatte sie mehr erschüttert, als sie sich selbst eingestand. Die natürliche Abwehrreaktion, die sofortige Schutzreaktion auf eine Tragödie umhüllte und beschützte sie.
    Sie sah bei Mama hinein.

Weitere Kostenlose Bücher