Der Sommer der Toten
er. »Wir werden doch nicht zulassen, daß so ein Kurpfuscher …«
»Ruhig jetzt«, grollte Ben.
»Schon gut, schon gut«, sagte der Arzt. »Die glauben wohl, sie wüßten, was hier vorgeht, aber …«, er beugte sich über die schwarze Tasche, »… wenn sie wirklich wüßten …«
Katie vermeinte ein Kichern zu hören, aber nein, vielleicht war es nur lautstarkes Ausatmen, als er sich bückte. Als er sich aufrichtete, hatte er wieder die Spritze mit der milchigen Flüssigkeit in der Hand.
»Das ist eine ärztliche Maßnahme«, erklärte er von oben herab.
Entsetzen flammte in Mamas Augen auf. Sie sah Katie und David bittend an.
»Sie sind es, der sie erst wirklich krank macht«, sagte David drohend und ging auf den Arzt zu. »Sie so zu erschrecken! Eine grandiose Therapie nach einem Schlaganfall. Und wodurch wurde der Schlaganfall ausgelöst? Vielleicht auch durch ›ärztliche‹ Maßnahmen?«
Der Arzt hob die Spritze in Augenhöhe, drückte zu und ließ ein wenig von der Flüssigkeit in die Luft spritzen. Keine Luftblasen. Fertig.
»Wenn Sie ihr die Spritze verpassen, fahre ich noch heute nach St. Cloud und verschaffe mir einen Haftbefehl gegen Sie.«
»Tun Sie das.« Bates sah ihn verächtlich an. »Welche Gründe wollen Sie denn dafür angeben?«
»Kunstfehler. Verletzung der ärztlichen Sorgfaltspflicht. Vielleicht sogar versuchter Mord. Mir wird schon das Richtige einfallen. Wir werden Ihnen schon das Handwerk legen. Jede Wette, daß sich die Ärztekammer und die staatliche Gesundheitsbehörde sehr dafür interessieren.«
»Das werden Sie nicht wagen«, stieß Bates hervor und ließ David nicht aus den Augen. Doch er zögerte mit der Injektion.
Dann faßte er einen Entschluß. Er beugte sich über Mama und faßte nach ihrem Arm.
Und David faßte nach dem Arm des Arztes und riß ihn weg, riß den Alten einfach weg vom Bett.
Erschrocken und erstaunt, aber auch voll Stolz sah Katie, daß ihr Mann Bates gegen die Schranktür drückte.
Der Arzt funkelte den jungen Mann an. Noch immer hielt er die Nadel in der Hand. Langsam bewegte er die Spitze auf Davids Unterleib zu.
»Achtung!« rief Katie.
Aber David war auf der Hut. Er packte das Handgelenk des Arztes. Die Spritze fiel auf den Boden.
»Jetzt haben Sie …«, erklärte Bates, hoch und anklagend »… etwas getan, das weit hinausgeht …«
»Hinausgeht, worüber?« wollte David wissen. »Los, sprechen Sie es aus. Wollen Sie mir etwa drohen? Soll ich das auch erwähnen, wenn ich nach St. Cloud fahre? Daß Sie mich bedrohten? Den Rechtsbeistand einer Patientin«, setzte er hinzu und überdachte diesen Aspekt. »Ich werde Ihnen die jämmerlichen letzten Berufsjahre versalzen!«
Als sie Davids Drohung hörte, rührte sich bei Katie ein Nerv. Jetzt haben wir eine Schranke niedergerissen, dachte sie. Jetzt sind wir am anderen Ufer, jenseits aller Sicherheit …
Fast schien es ihr, als lächle Papa.
Mama wirkte erleichtert und verängstigt gleichzeitig.
Das alte Gesicht des Arztes war wutverzerrt. Seine Lippen zitterten in dem Versuch, Worte zu formen. Er schaffte es nicht.
Papa trat einen Schritt vorwärts, wütend, einsatzbereit, auf den Ballen wippend. Er war noch immer flink und behende.
»Ben, laß das«, sagte Bates. »Alles wird gut. Es wird schon klappen.«
»Bist du sicher?«
»So wird es auch gehen. Und es dauert nicht mehr lange.«
Katie wußte nicht ein noch aus. Was sollte »klappen«? David schien nichts gehört zu haben. Er hatte noch immer den Arzt unter Kontrolle und erwartete gleichzeitig einen Angriff von Papa. Wahrscheinlich hoffte er sogar auf einen Kampf. Damit er es endlich hinter sich brachte. Aber Papa, den die rätselhafte Versicherung des Arztes beruhigt hatte, trat einen Schritt zurück.
Jetzt hob David die Spritze auf und ließ den Inhalt auf den Boden fließen. »Hier«, sagte er und gab das Instrument dem Arzt zurück.
»Danke«, erwiderte dieser höhnisch. »Sie sind Jurist, haben das Studium gerade hinter sich und kommen sich wohl großartig vor, wie?«
»Es geht.«
»Wir werden sehen. Wir werden schon sehen. Eines Tages werden Sie mich vielleicht noch brauchen. Denken Sie dran.«
»Wenn ich Sie brauche, dann hoffentlich wegen eines Beruhigungsmittels. Damit können Sie ja augenscheinlich hervorragend umgehen.«
III
Es stimmte, Mama konnte Ja-oder-Nein-Fragen beantworten, aber sie wußten ja nicht, was sie sie fragen sollten. Und mehr konnte sie nicht sagen.
Katie hatte David von den
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