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Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
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damit er sich die Kerzen ansehen sollte.
    »Na ja, Religion bleibt nun mal Religion«, meinte er. »Vielleicht werden die Leute hier mit zunehmendem Alter immer verrückter, aber das da ist einfach lächerlich.«
    Beim Abendessen schien Papa erstaunt, als Katie die Kerzen zur Sprache brachte.
    »Ach die«, sagte er beiläufig, »ja, der Reverend benutzte die Kerzen, als er Mama das Sterbesakrament spendete. Damals, als sie krank wurde.«
    »Diese Riesendinger? Und ich dachte, bei der Erteilung der Sterbesakramente nimmt man kleine Kerzen.«
    »Katie, du weißt doch, wie ernst der Reverend alles nimmt.«
    »Na, davon haben wir ja einen Vorgeschmack bekommen«, knurrte David. »Aber wie transportiert er die schweren Dinger?«
    »Was glauben Sie wohl, warum er einen schweren Cadillac fährt?«
    »Aber heute hat er sie wohl nicht verwendet?« wollte Katie wissen.
    »Nein.«
    »Bist du sicher?«
    »Ja, natürlich.«
    »Und warum stehen sie dann noch immer in der Sommerküche?« fragte David.
    Papa überlegte. »Er vergaß sie. Er wollte sie eigentlich heute nachmittags abholen, aber er vergaß sie. Wir haben uns verplaudert.«
    »Worüber denn?«
    »Über die alten Zeiten, was denn sonst?« sagte Papa.
    Der Rest des Abends verstrich ereignislos. Katie und David versorgten Mama. Papa werkelte draußen im Geräteschuppen. David schraubte sämtliche Sicherungen ein, und auf einmal funktionierten alle Lichter, was Papa wiederum in Rage versetzte, als er hereinkam. Doch er behielt seine Meinung für sich. David fragte, warum die Kellertür verschlossen sei. Der Schlüssel wäre noch immer verschwunden, kam die knappe Erklärung. »Kann ich runter?« drängte David.
    »Wenn Sie unbedingt wollen«, sagte Papa, »dann können Sie meinetwegen die Tür aushängen. Hoffentlich sind Sie nachher glücklicher.«
    Diese Befriedigung wollte David Papa nicht verschaffen. Die Tür blieb zu. Schade.

 
II
     
     
    »Es ist noch nicht der Zweiundzwanzigste«, flüsterte Katie mit unterdrücktem Gekicher. »Kein Sonnwendtag!«
    David kam näher. Seine Hände glitten wissend über ihren Körper, erregten sie, glitten weiter, erweckten Sehnsüchte.
    Er streichelte sie, und sie spürte, wie das Verlangen in ihr wuchs. Sie standen eng umschlungen. Die Ereignisse der letzten Tage wurden ausgelöscht, vergessen und weggefegt von ihrer Liebe. Und dann verloren sie sich in den üppigen Gefilden der Lust. Draußen, vor der geschlossenen Tür, schlug die große Uhr. Und dann hörten sie auch die Uhr nicht mehr, sie waren jenseits der Zeit, in einem Reich der Gipfel, der namenlosen Wunder. Raum, Haus, Wiese und See, einfach alles wiegte sich in ihrem Rhythmus, und dann war es erreicht, und sie glitten ab, ließen voneinander und traten wieder in die Zeit ein. Herzschläge, die der Uhr voraneilten, mit ihr im Gleichtakt schlugen, langsamer wurden. Sie hielten inne, aber die Zeit lief weiter.
    »Hoffentlich waren wir nicht zu laut«, wisperte Katie ein wenig später.
    »Wen kümmert das schon?« kam seine schläfrige Antwort.
    »Na ja, eine kleine Vorübung kann nicht schaden.« Und dann mit einer Andeutung von Besorgnis: »Hoffentlich wird es klappen.«
    »Nur keine Aufregung. Genau das hat der Arzt verboten.«
    »David?«
    »Hmm?«
    »Ich wünschte, du würdest mit Papa netter umgehen.«
    »Mach ich. Sobald er mit mir netter umgeht. Sag mal, was hältst du eigentlich von all dem?«
    Er stützte sich auf einen Ellbogen und sah in der Dunkelheit zu ihr hin.
    »Was meinst du damit?«
    »Zu meinem Plan, dich hier wegzulotsen und deine Mutter in einem Krankenhaus in Minneapolis unterzubringen.«
    »Darüber möchte ich jetzt nicht nachdenken. Fahr erst mal zurück und sieh zu, daß du einen Vertreter findest …«
    »Die Firma wird nicht entzückt sein«, warf er ein. »Aber ich werde hoffentlich für die dringendsten Sachen andere Termine bekommen …«
    »… und dann können wir uns darüber den Kopf zerbrechen.«
    »Ist es dir recht? Daß du hier bleibst, meine ich.«
    »Warum nicht?«
    Nach einiger Überlegung sagte er: »Dein Vater.«
    Katie schien vor ihm zurückzuweichen, obwohl sie sich nicht rührte. Sie sagte nichts.
    »Und wenn er Aggie Jensen tötete?« flüsterte David. Die Dunkelheit konnte die Tatsache nicht verbergen, daß er es ernst meinte.
    »Ich sah Butch Ronsky …«
    »Sicher. Du hast ihn gesehen. Und es paßt so gut. Es ist allgemein bekannt, daß er dauernd bei Aggie steckte. Aggie behandelte ihn gut. Aber wer nun tatsächlich das

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