Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
Vom Netzwerk:
in den alten Kirchenstuhl gleiten.
    Menschen kamen, kamen immer noch, und alle waren sie alt. Katie spürte einen Anflug von Mitleid mit Reverend Mauslocher, der seine jüngeren Schäfchen an die »modernen« oder »aufgeklärten« Gemeinden in St. Cloud verloren hatte und immer noch verlor. Aber es war nicht zuletzt Mauslochers eigener Fehler, eine Folge seiner sonderbaren Auslegung von Theologie und Liturgie … doch die alten Leute schien das nicht zu stören.
    Da kam die Witwe Sitta in ihren hochgeschnürten Schuhen den Mittelgang entlanggestampft. Sie verbrachte die halbe Zeit damit, Reverend Mauslocher zum Dinner einzuladen, um ihm zu imponieren, und die andere Hälfte auf den Knien in demonstrativem Gebet in der Kirche – ebenfalls um ihm zu imponieren.
    Und Dolph Pelser, der Bestattungsunternehmer, alterslos wie immer. Das käme davon, daß er von der Einbalsamierungsflüssigkeit getrunken hätte, was ihm einmal zufällig wirklich passiert war. »Hab es mit reichlich Bier wieder rausgespült«, behauptete er. »Das war meine Rettung.«
    Knapp hinter Pelser kam Rudy Kieke, sein Jagdgefährte seit Menschengedenken. Alljährlich im Oktober machten sich die beiden auf den Weg gen Norden mit der Absicht, auf Hirschjagd zu gehen. Doch sobald sie das Zelt aufgestellt hatten, pflegte Rudy sich auf die Whiskyflasche zu stürzen. Und zehn Tage später, wenn sie wieder in St. Alazara Einzug hielten, war die einzige Beute auf der Ladefläche des kleinen Lasters Rudy selbst.
    Und jetzt kam Valma Peter hereingetrottet, die alte Krähe, die Judys Söhnchen im Wagonwheel getreten hatte. Das hagere Gesicht wirkte mißmutig und hinterlistig. Nachdem die Nonnen ihr den Laufpaß gegeben hatten, war sie zurückgekommen und hatte den nunmehr verblichenen Ed Peter geehelicht, der in der Zementfabrik gearbeitet hatte. Aber er hatte sie im Stich gelassen und war gestorben, und jetzt war ihr als einziges die Religion geblieben.
    Doc Bates kam herein, langsam, selbstsicher, überlegen. Unter dem Witwenkontingent gab es Unruhe und Gezischel, wie er so lächelnd vorüberschritt. Trotz seiner schmutzigen Witze – vielleicht gerade deswegen – galt der »Doc« als guter Fang.
    Und dann Frank Addleson, der Schreiner, und seine Frau Mary, und viele andere, Farmer mit ihren Frauen, einfachen, schwerfälligen Frauen in altmodischen Kleidern, dunkelblau und von strengem Schnitt, so daß sie im trüben, getönten Licht der bunten Glasfenster wie Witwen aussahen. Und dazwischen richtige Witwen – und wieder Witwen, jede Menge Witwen und alte Ehepaare, deren Namen Katie längst vergessen hatte.
    Nur Barney, der Polizist, fehlte, was ein wenig ungewöhnlich war, aber auch verständlich, denn schließlich hatte er einem anderen Gesetz zu dienen.
    Nachdem sie eine ganze Weile den Strom verbrauchten alten Fleisches beobachtet hatte, der sich den Mittelgang entlangbewegte, verwelkt und bereits dem Ende der irdischen Existenz nahe, bemerkte Katie etwas, das mehr als nur beunruhigend war: jeder einzelne der Eintretenden sah sie an. Viele starrten sie sogar noch an, nachdem sie sich gesetzt hatten. Sie verrenkten die Hälse, stießen einander an, starrten Katie an und tuschelten.
    »Sie haben dich so lange nicht gesehen«, flüsterte Papa aufmunternd. Aber Katie ließ sich nicht so einfach überzeugen. Denn da war noch etwas anderes, merkwürdig und fehl am Platze, das sich heute am frühen Morgen zugetragen hatte. Sie blieb nervös und unsicher.
    Und jetzt kam, was das Verwirrendste war, Otto Ronsky, gefolgt von seiner pummeligen Frau. Er hielt direkt auf die erste Reihe zu. Der hinkende Willis versuchte vergebens, ihn schon vorher in eine hintere Reihe zu bugsieren und gab es schließlich auf. Das allein aber war noch nicht beunruhigend. Otto Ronsky selbst war es.
    Katie war früh erwacht, im Haus war es noch ruhig. Neben ihr im Bett lag der schlafende David. Sie gab ihm sachte einen Kuß und stand auf. Das dichte Laub des Ahornbaumes vor dem Fenster ließ das Licht gefiltert hereindringen und schuf eine trügerische Kühle, hinter der sich die Hitze des Junitages verbarg. Vogelgezwitscher kam aus den Bäumen.
    Auf Zehenspitzen schlich sie die Treppe hinunter. Mama atmete flach, aber regelmäßig. Auch Papa schlief noch. Katie sah aus dem Küchenfenster, verwundert über das üppige Grün. Weiter weg, hinter der Scheune, versperrten Bäume und Hecken einem den Blick auf Aggie Jensens Häuser. Der Hochsommer stand vor der Tür. Der Gedanke an Aggie

Weitere Kostenlose Bücher