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Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
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gestimmt.
    David bejahte, doch das schien sie zu verwirren. Nicht weil sie ihn etwa nicht erkannte. Es war vielmehr etwas anderes, rätselhafter und komplizierter. Man konnte es an ihrem Gesicht sehen, aber nur andeutungsweise, denn ihr Ausdruck blieb schwer faßbar. Sie sah Judy an, und ihre Miene steigerte sich zur Leutseligkeit. Dann wieder David, und wieder war da das Staunen, die Verwunderung, ein ungelöstes Problem.
    »Warum treibt ihr euch mit diesem Gesindel herum?« fragte sie David und Katie und deutete dabei auf Judy.
    »Jetzt hören Sie mal …«, setzte Katie an.
    »Mrs. Peter, beruhigen Sie sich«, griff Barney vermittelnd ein. »Ist doch nichts passiert.«
    Die alte Vogelscheuche sah ihn an und schien von den anderen eine geheime Botschaft zu empfangen. Sie beruhigte sich und humpelte davon. Gleich drauf verkündete das Bimmeln der Türglocke ihren endgültigen Abgang.
    Die anderen standen verlegen da und wußten nicht, wie ihnen geschah.
    »Vielleicht fahre ich gleich jetzt nach St. Cloud zurück«, sagte Judy. Ihre Wut war der Verwirrung und Gekränktheit gewichen. Der Junge, der den Tritt bekommen hatte, heulte. Das Baby in ihren Armen strampelte unruhig.
    »Ach bitte, bleib noch ein bißchen länger«, bat Katie sie. »Es wird schon besser werden. Richte dich erst mal ein. Morgen ist Sonntag. Komm doch rüber, vielleicht gleich am frühen Nachmittag, ehe David zurück nach Minneapolis muß.«
    »Du bleibst nicht?« fragte Judy.
    »Ich bleibe nur Montag weg«, meinte David. »Dann möchte ich zurückkommen und ein paar Dingen auf den Grund gehen.«
    Er warf einen Blick zu Barney hinüber, diesmal um sicherzugehen, daß der Allgegenwärtige es mithörte. »Das bin ich meinem lieben alten Heimatort schuldig.«
    »Wirklich, komm doch rüber«, wiederholte Katie. »Du hast uns noch nicht besucht.«
    »Aber ja«, protestierte Judy. »Du warst gar nicht da.«
    »Was? Wann denn?«
    »Kurz bevor ich hierher zum Laden fuhr. Ich hielt bei eurem Haus an. Unterhielt mich sogar eine Weile mit deinem Vater. Aber ich ging nicht ins Haus – wegen der anderen.«
    »Etwa wegen der Nachbarinnen? Die bei Mama sitzen?«
    »Nein. Ich meinte Doc Bates und Reverend Mauslocher. Die waren gleichzeitig da.«

 
V
     
     
    Die Frauen waren fort. Mama lag im tiefen Betäubungsschlaf. Im Zimmer roch es nach Weihrauch. Arzt und Priester waren bereits gegangen.
    »Aber Papa! Wie konntest du nur!« rief Katie.
    Aber wenigstens war Mama noch am Leben. Insgeheim hatte sie gefürchtet, daß … daß es die Vergeltung wäre, die Vollendung des Kreises, die Begleichung geheimer Schuld. Und auf der Heimfahrt in dem schnellen und starken Mustang schien die Zeit sich einmal mehr zu verlangsamen, sich auszuweiten, unerträglich und ewig. Die Energie des Wagens, sämtliche Willenskraft wurde von einem undeutlichen Schemen der Angst tief in ihrem Bewußtsein neutralisiert.
    »Wie habe ich was gekonnt?« fragte Papa und tat ehrlich erstaunt.
    »Hat er Mama schon wieder ein Beruhigungsmittel verpaßt?« wollte David wissen.
    »Also, ihr müßt wissen … eigentlich habe ich keine Ahnung.«
    »Doch, Sie wissen es. Hören Sie«, David richtete sich auf und trat dicht vor den alten Mann. »Jahrelang ist hier alles nach Ihrem Willen gegangen, aber Ihre Zeit neigt sich dem Ende zu …«
    »Ach?« sagte Papa und gestattete sich ein kleines Lächeln. Das ließ David nur noch wütender werden.
    »Jawohl. Ich werde nicht zulassen, daß meine Frau hier bleibt, solange diese Dinge … ach was, das ganze Dorf ist … hier ist etwas faul. Verrückte Spinner seid ihr hier alle!«
    »Ich möchte bloß wissen, wer …«, höhnte Papa.
    »Bitte, Papa. David!« sagte Katie. Wie immer konnte sie den Konflikt zwischen den beiden nicht ertragen. Und sie wußte auch, daß sie unter diesen Umständen ihre Mutter hier nicht allein lassen konnte.
    Aber David hatte auch daran gedacht.
    »Und wenn ich Montag abend komme«, sagte er – fast schrie er es heraus – »werde ich alle nötigen Schritte unternehmen, damit Ihre Frau endlich einen Platz findet, wo ihr die gebührende medizinische und menschliche Fürsorge zuteil wird. Vielleicht nehmen wir sie nach Minneapolis mit«, setzte er hinzu. »Zusammen mit Katie. Wir fahren gemeinsam. Drei Jahre lang sind wir gut ohne Sie ausgekommen, und das schaffen wir jederzeit wieder.«
    Was David da sagte, schien Papa zu beeindrucken und ihn zu treffen. Entgegen allen Erwartungen versuchte er beinahe einzulenken.
    »Es besteht

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