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Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
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plötzliches Auftauchen war ein so eindeutiges Anzeichen für eine direkte Gefahr, das es wie eine eiskalte Dusche wirkte.
    »Herc, was machst du denn da?«
    »Ich b-bin weggelaufen«, flüsterte er mit einem verstohlenen Blick nach hinten. Langsam kam er wieder zu Atem.
    »Weggelaufen? Wovor denn?«
    Sie mußte daran denken, was David über Hercules gesagt hatte. Er wäre nicht genug verängstigt, um etwas zu sagen oder zu tun. Aber jetzt war er es.
    »Im Dorf tut sich etwas«, sprudelte es aus ihm heraus. »Eben jetzt.«
    »Vielleicht die Vorbereitungen für die Sonnwendfeier?«
    »Nein, o nein. Alle machen mit. Alle – nur dein Pa nicht. Und du. Sie sind …«
    »Wie bist du überhaupt vom Laden weggekommen? Jemand muß dich doch gesehen haben.«
    »Nein, du verstehst nicht. Der Laden ist geschlossen. Ma kam aus unserem Haus rüber und sagte, ich solle zusperren und auf mein Zimmer gehen.«
    »Zusperren? Sie hat doch niemals …«
    »Eben. Niemals. Aber heute schon. Ich ging also ins Haus – Mama blieb inzwischen im Laden – und ging auf mein Zimmer …«
    Er hielt inne und holte zitternd Luft.
    »… und ich sah aus dem Fenster. Das tue ich hin und wieder. Einfach so aus dem Fenster sehen. Und da sah ich sie alle. Alle. Und alle ihre Autos und Kombis und Laster.«
    »Nein«, sagte er verzweifelt. »Nein. Sie standen drüben bei Dolph Pelsers Aufbahrungshalle. Und einer der Laster hatte Erde geladen, so sah es jedenfalls aus.«
    »Erde?«
    »Ja, richtige Erde, wie von einem umgeackerten Feld. Und alle schaufelten emsig und nahmen sich davon und luden Erde in ihre Fahrzeuge.«
    Katie versuchte krampfhaft darin einen Sinn zu finden. Sie versuchte zu denken wie die Menschen in diesem weltabgeschiedenen Dorf. Für Mauslocher war die Sommersonnenwende ein Fest der Ernte und Erneuerung, und er hatte dabei vielleicht etwas mit richtiger Erde im Sinn, aber …
    Hercules faßte nach ihrem Arm.
    »Und dann sah ich Dolphs Leichenwagen vorfahren. Er kam vom Friedhof, zusammen mit Mauslochers Cadillac. Sie fuhren mit dem Heck des Leichenwagens an die Hintertür heran, dort, wo die Rampe hinunter in den Einbalsamierungsraum geht. Der Totengräber stieg aus und wies Dolph ein. Ein paar Mann gingen rüber an den Wagen des Reverend und öffnen den Kofferraum.«
    »Und?«
    »Sie holen ein paar von diesen großen Kerzen heraus und reichen sie weiter durch die Tür in den Einbalsamierungsraum. Und dann lassen sie aus dem Leichenwagen etwas über die Rampe gleiten.«
    Sein Griff wurde fester. Sie spürte sein Zittern.
    »Ich glaube … es war ein Sarg«, stieß er hervor, wobei er das letzte Wort kaum aussprechen konnte.
    Die Gräber! fiel ihr ein, aber nein …
    »Das kannst du nicht deutlich gesehen haben!«
    »Er war ganz erdig, wie frisch ausgegraben, aber es sah aus wie ein Sarg.«
    Nein, nein, hämmerte ihr Verstand. »Du mußt dich geirrt haben«, sagte sie und befreite sich aus seinem Griff. »Und was war dann? Bist du hierher gelaufen? Warum? Nur deswegen?«
    »Noch nicht. Ich wartete«, sagte Hercules. »In diesem Augenblick dachte ich noch nicht ans Weglaufen. Aber nach einer Weile warfen Virgil Waters und Franklin D. Potch zwei Kisten und etwas Erde auf den Heuwagen von Potch. Joe Starkop schleppte ein paar von den Riesenkerzen herbei, und so fahren sie rüber zum Laden. Ich höre, wie Mama aufsperrt – niemand sprach ein Wort – und gemeinsam gingen sie hinunter in den Lagerraum im Keller.«
    Er hielt inne, als wolle er zu einer wichtigen Erklärung ansetzen.
    »Und da lief ich weg«, sagte er leise. Sein Ton verriet Stolz über seinen Entschluß. »Und jetzt sucht man mich wahrscheinlich«, setzte er wieder jämmerlich hinzu.
    Katies Gedanken überstürzten sich. Hercules, wie er zitternd und furchtsam hier im Schuppen hockte, war ihr keine große Hilfe. Aber er war auch kein Gegner. Särge, dachte sie, Kerzen, Vogelhäuser … und sie verfolgte die Spur ihres Argwohns weiter, die sie vor Hercs Entdeckung aufgenommen hatte. Das Vogelhaus hatte man in eine Falle verwandelt. Sie sah sich hastig um. Der kaputte alte Vogelkäfig, den sie hier vor einigen Tagen gesehen hatte, war verschwunden …
    »Komm jetzt«, sagte sie zu Herc.
    Sie liefen längs der Windschutzbäume zum Haus. Dabei konnten sie ein beruhigendes Krachen drüben von der Scheune hören. Papa riß die alte Holzverschalung herunter.
    Im Haus muß etwas sein, dachte sie. Ein Hinweis. So schwer war der sicher nicht zu finden. Männer waren im allgemeinen

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