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Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
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Autos.
    »Möge sie den Weg bereiten! Möge sie nicht zwischen geweihten Lichtern liegen!«
    »Amen.«
    »Amen«, wiederholte Mauslocher.
    »Aus Rücksicht auf die Familie der Verblichenen«, verkündete der Geistliche noch, ehe die Trauergemeinde sich auflöste, »wird die für heute hier im Dorf geplante kleine Sommersonnenwendfeier morgen abgehalten.«
    »Jetzt«, sagte er mit einem Kopfnicken zu Katie und Ben hin.
    Sie traten vor und warfen nach alter Sitte zwei Handvoll Erde auf den Sarg. Dann standen sie und ihr Vater am offenen Grab, während die Leute vorüberzogen, um einen letzten Blick auf den Sarg zu tun und Ben die Hand zu drücken. Dabei sahen sie Papa tief in die Augen, als hätten sie etwas gemeinsam, das mehr war als Anteilnahme. Was? Das Alter? Sie drückten auch Katie die Hand, aber viel flüchtiger. Auch sahen sie sie nicht an, sondern schienen sogar ihrem Blick schuldbewußt auszuweichen.
    Und dann war alles vorbei.

 
III
     
     
    »Ich erwarte David gegen sechs«, sagte Katie während der Heimfahrt zu ihrem Vater.
    Alle Nachwirkungen der Injektion waren von ihr abgefallen. Sollte ihr etwas zustoßen, dann mußte es von jetzt an bis zu Davids Rückkehr passieren. Und es würde ihr nichts passieren, trotz Papa, oder Bates, Mauslocher, Barney, Otto Ronsky und allen anderen – das redete sie sich fest ein. Aber David hatte vielleicht doch recht gehabt. Sie hätte hier nicht allein bleiben sollen.
    »David?« fragte Papa geistesabwesend. »Ach ja.«
    Ob nun ein »Plan« existierte oder nicht, Bates würde ihr niemals wieder eine Injektion geben, das schwor sie sich, und Papa …
    »Papa«, sagte sie.
    »Hm?«
    »Wenn David heute abend kommt, fahren wir gleich wieder weg.«
    Einen Augenblick lang war er bestürzt, dann aber schien ihm etwas einzufallen.
    »Natürlich kommen wir immer wieder auf Besuch«, fuhr Katie beschwichtigend fort, »aber ich möchte doch sagen, daß du dich merkwürdig benommen hast. Und so etwas wie gestern – das werde ich mir nicht mehr gefallen lassen.«
    Er bog in die Zufahrt ab. In den Weiden entlang dos Baches flatterten Vögel auf. Die Farmgebäude, umstanden vom Windschutz aus Bäumen, wirkten wohlig anheimelnd.
    »Ach, da brauchst du keine Angst mehr zu haben«, sagte er schließlich. Und nach einer Weile: »Du mußt wissen, daß ich dich liebhabe«, sagte er ganz leise.
    Und wieder spürte sie, wie sie den alten Erinnerungen nachgab und von ihren Gefühlen überwältigt wurde.
    »Ach, Papa, ich habe dich auch lieb.« Sie fühlte sich plötzlich ganz klein und verloren. »Aber das ist nicht …«
    »Hör auf«, befahl er leise. »Worte können keine Probleme lösen.«
    Sie fühlte sich ein wenig besser.
    Er parkte den Wagen unter dem großen Ahorn neben der Scheune.
    »Ich glaube, ich fange noch heute mit der Holzverschalung für die Scheune an«, überlegte er laut. »Nötig ist es, was meinst du?«
    »Und ich dachte, du wolltest Otto die Letzten Vierzig verkaufen? Wozu brauchst du dann noch die Scheune?«
    Er schien verwundert.
    »Ach. Hm ja. Nun, ich brauche schließlich Beschäftigung. Dieser Ronsky«, murmelte er vor sich hin, »der glaubt wohl wirklich, er kann auf zwei Seiten mitmischen.«
    »Was heißt, auf zwei Seiten?«
    Er strich ihr über die Wange.
    »Katie … Katie … ich wünschte, du würdest begreifen«, sagte er. Er wirkte bekümmert und alt.
    »Schon gut«, sagte sie. Vielleicht war wirklich alles gut.
    Sie ging ins Haus. Das Mittagessen mußte vorbereitet werden. Dann wollte sie nach St. Cloud fahren und David von dort aus anrufen. Er solle sich beeilen. Einen Augenblick lang blieb sie am Küchenfenster stehen und sah hinaus auf die Bäume, auf den Hof. Nur einen Augenblick lang. Aber es reichte. Sie sah, daß ihr Vater hastig etwas Sonderbares machte – er sah sich verstohlen um – und spähte unter die Motorhaube.
    Sie setzte sich an den Küchentisch, ohne zu merken, daß sie am ganzen Leibe zitterte. Jetzt waren ihre letzten Zweifel beseitigt. Sie konnte sich nicht mehr leisten, sie durfte ihren alten töchterlichen Gefühlen nicht mehr nachgeben, gleichgültig, wie sehr sie sich danach sehnte, ihm trauen zu können, gleichgültig, wie liebevoll er war. Sie mußte auf der Hut sein.

 
IV
     
     
    Beim Essen war Papa nervös und krampfhaft bemüht, freundlich zu sein. Es ergab keinen Sinn. Es paßte so gar nicht. Er fragte sie besorgt, wie es ihr ginge, ob sie sich wohl fühle.
    Katie ihrerseits war um unauffälliges Verhalten bemüht.

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