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Der Sommer der Vergessenen (German Edition)

Der Sommer der Vergessenen (German Edition)

Titel: Der Sommer der Vergessenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Grandjean
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komm raus“, bat Socke.
    Und sofort
entwich grauer Nebel aus Ohren und Nase des Sterbenden. Zielsicher schwebte er
ans Ufer, formte vom Kopf abwärts die Silhouette des Nachtalben, die sich dann
innerhalb eines Augenblicks verfestigte. Rolo hielt den toten Mann immer noch
fest. Socke war es, der ihn befreite. „Lass ihn los, Rolo.“ Er führte Rolos Arm
mit seiner Pfote, und der Leichnam trieb davon.
    Driftwood
wetzte den Hang hinauf. Kotze trieb noch immer wie ein Floß auf dem Wasser.
    „Alles in
Ordnung, Kotze?“, rief Socke.
    „Brrr.“
    „Und da
oben?“
    „Alles
Matsche“, befand Driftwood. „Einer wurde schon behandelt. Kotze hat heute auf
jeden Fall schon gegessen. Einer ganz sicher tot. Und der Mörder wird noch eine
Weile schlafen, hat dann aber bestimmt Rückenschmerzen. Soll ich ihn töten?“
    „Auf keinen
Fall!“, riefen Socke und Rolo wie aus einem Mund. „Wir sollten abhauen. Kotzes
Geheul war bestimmt im ganzen Tal zu hören.“
     
     

Kapitel 26
    „Was war
das?“ Grellon erblasste.
    „Ich weiß es
nicht.“ Adalar spähte in die Richtung, aus der das Geheul gekommen zu sein
schien.
    „Das war
kein Wolf“, sagte Kilian.
    „Nichts, was
von einer Mutter geboren wurde, kann so heulen“, meinte Blair.
    Grellon
bekam es mit der Angst zu tun. Er trat an Adalars Seite. „Was machen wir denn
jetzt?“
    Die Neolinga
starrten ins Dickicht der Bäume.
    „Ich denke,
wir sehen mal nach“, beschloss Adalar grimmig. „Kilian, wenn Grellon
zurückfällt, bleibst du bei ihm. Los, Neolinga!“
    Dann rannten
sie los. Als Grellon sah, wie die Capes der Neolinga wehten, wie Fahnen
glorreicher Königsreiche aus alten Zeiten, denen er in die Schlacht folgte,
erwachte etwas in ihm, von dem er selbst nie gedacht hätte, dass es in ihm
schlummerte.
    „Rolo“,
hauchte er. Und dann lief er, wie er noch nie zuvor gelaufen war. Keiner musste
auf ihn warten, und keine Baumwurzel brachte ihn je wieder zu Fall.
     
     

Kapitel 27
    Rolo rannte,
als ginge es immer noch darum, den tödlichen Pfeilen der Neolinga zu entkommen.
Und obwohl er wie um sein Leben lief, waren die Alben um ein Vielfaches
schneller als er. Doch sie achteten auf ihn. Wenn der Abstand zu groß wurde,
blieben sie stehen, bis er wieder zu ihnen aufschloss. Sie hatten aller Heimlichkeit
abgeschworen. Alles Schleichen war vergessen. Rolo wollte nur weg. Genug
Distanz zwischen sich und das unsägliche Nachtschattental mit all seinen
Mördern, Verschwörern und all seinem Schmerz bringen. Weg, um zu vergessen. Vor
Rolos geistigem Auge starb der Neolinga immer und immer wieder. Das hatte
nichts mit den Abenteuern zu tun, die er des Nachts im Bett las, mit der
Taschenlampe unter der Decke. Hier starben Menschen. Lange bevor ihre Zeit
gekommen war. Und um ein Haar hätten sie auch ihn getötet. Der Gedanke war zu
mächtig, um ihn in seiner ganzen Endgültigkeit zu erfassen. Tränen vernebelten
ihm die Sicht. Er konnte nicht weiter. Die nasse Kleidung klebte an seinem
Körper, und trotz der Anstrengung zitterte er vor Kälte. Die Alben blieben stehen,
als sie merkten, dass er nicht hinterher kam. Socke machte kehrt und kam im
Dauerlauf zurück. Sein sonst so feines, helles Fell war rot verfärbt und nass
von Blut und Wasser. Trotz ihrer wilden Flucht war er überhaupt nicht außer
Atem.
    „Du frierst
ja. Halte kurz still, ich will was probieren.“ Er sprach ein Wort, und Rolos
Kleidung blähte sich auf, als hätte ihm jemand einen Föhn in Hemd und Hose
gesteckt. Rolo betastete sich. Alles trocken. Schon fror er etwas weniger. Nur
die innere Kälte, die blieb. Das schien auch Socke zu spüren.
    „Halte
durch, Freund Rolo.“ Es klang wie eine Bitte. Die kullerrunden Augen des
Nachtalben schauten ihn mit unendlicher freundschaftlicher Zuneigung an. Rolo
konnte augenblicklich nur noch daran denken, wie enttäuscht und traurig Socke
wäre, wenn er dem Drang nachgeben würde, sich aufzugeben. Wenn er sich wie eine
Made hier im Dreck zusammenrollte und aufgab. Wenn dies ein Zauber war, dann
war es ein guter. Denn die finsteren Bilder verschwanden aus Rolos Kopf, wie
die Dunkelheit mit den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne verschwindet. Und
der kleine Funke, den die Fürsorge eines Freundes erzeugen kann, entfachte das
Feuer in Rolos Herz aufs Neue. Das Feuer, das man Mut zum Leben nennt. Rolos
starrer Blick entspannte sich. Er wischte sich den Rotz von der Nase. Sein
Gesicht war verschmiert von Dreck und Tränen. Doch er lächelte, und

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