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Der Sommer der Vergessenen (German Edition)

Der Sommer der Vergessenen (German Edition)

Titel: Der Sommer der Vergessenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Grandjean
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Socke
lächelte auch. „Zurück aus dem Dunkel?“, fragte Socke.
    „Zurück!“,
bestätigte Rolo. „Machen wir, dass wir hier wegkommen.“
     
    Grellon würde
niemals das Gefühl vergessen, das der Anblick der toten Männer in ihm erzeugte.
Die ersten toten Menschen, die er in seinem Leben sehen musste. Es war eine
Mischung aus Angst, Abscheu, aber auch Erleichterung. Die Erleichterung, selbst
lebendig zu sein. Und gleichzeitig schämte er sich, das zu spüren. Als würde er
seinen eigenen Lebensmut aus den geschundenen Körpern der Toten saugen. Es kam
ihm vor wie Hohn und Spott für die Gefallenen. Ein Neolinga trieb auf dem
Wasser. Arme und Beine waren abgespreizt wie die langen Glieder einer Spinne.
Sein Blut hatte sich mit dem brackigen Wasser zu einer violetten Brühe
vermischt. Die leeren Augen starrten blind in den Himmel. Es war Darragh. Blair
stieß einen Laut des Entsetzens aus, rutschte die Uferböschung hinab und watete
hinaus zu seinem toten Freund und Kampfgefährten. Ein paar Schritte weiter lag
Joshua. Selbst im Tod schien er die Hände noch fest auf ein tiefes Loch in
seinem Bauch zu drücken. Wie um dem Strom aus Blut und Innereien, an dessen
Ende der Tod wartete, Einhalt zu gebieten. Grellon lief zu ihm, und als er sich
dem Leichnam näherte, merkte er, dass seine Sandalen im feuchten Boden
versanken. Feucht vom Blut des Toten.
    Adalar
ächzte bei dem Anblick, und er wankte, als wären die Wunden seiner toten
Neolinga die seinen.
    „Bei allen
Göttern.“ Er fand Halt an Kilians Schulter.
    Grellon
lüftete vorsichtig Anacons Kapuze. Er erschrak. Anacons Gesichts war eine
blutige Masse aus zerrissener Haut und rohem Fleisch, das gewaltsam ans
Tageslicht gezerrt worden war. Das linke Auge fehlte. Aber Grellon war auch
entsetzt über sich selbst. Er spürte, dass er sich nicht sattsehen konnte. Das
Grauen des Augenblickes zog ihn völlig in seinen Bann. Plötzlich bäumte Anacon
sich auf und hustete gurgelnd. Grellon schrie auf. Schon kam Kilian herbei, um
zu helfen. Beruhigend redete er auf den Verletzten ein und machte sich an die
Versorgung der Wunden. Anacon wimmerte Unverständliches und verlor wieder das
Bewusstsein.
    Dorn saß mit
dem Rücken an eine große Eiche gelehnt, bewegungslos da. Adalar näherte sich
ihm, schwerfällig und steif, wie mit einer großen Last beladen. Er ging in die
Hocke und legte ihm zwei Finger an den Hals.
    „Er lebt.“
    Und als
hätte Adalar ihn ins Leben zurückgerufen, schlug Dorn die Augen auf.
    „Dorn, was
ist hier passiert?“
    „Der Junge.
Es war der Junge.“ Dorns Stimme klang schwach und tonlos.
    „Wie ist das
möglich? Zwei Männer sind tot!“, klagte Adalar. „Er ist mit Dämonen im Bunde.
Sie haben uns überfallen. Es waren viele. Sie kamen aus dem Nichts. Magie!
Schwärzeste Magie. Der Junge. Er sagte, er handelt im Auftrag seiner
Hexenmutter.“ Dorn schloss die Augen wieder. Seine Sinne schienen zu schwinden,
und sein Kopf sackte ihm vornüber auf die Brust. Doch da stürzte Grellon
herbei. Mit einem Schrei packte er Dorn am Kragen, zog den schlaffen Körper des
Verletzten auf die Beine und stieß ihn hart gegen den Baumstamm.
    „Das soll
mein Sohn getan haben!“, brüllte er und schüttelte Dorn, als würde die Wahrheit
so aus ihm heraus fallen. „Grellon, bitte.“ Adalar legte Grellon die Hand auf
die Schulter und zog ihn sanft, aber bestimmt, beiseite. Grellon ließ Dorn los.
Aber er spürte eine so tiefe Abneigung, so viel Hass, dass er den tiefen,
unbändigen Wunsch empfand, ihm Schmerzen zuzufügen. Den gleichen Schmerz, den
er jetzt empfand. Und als dieses Gefühl wie ein Kribbeln durch seine Muskeln
fuhr, schlug er Dorn mit aller Kraft ins Gesicht. Und obwohl Dorn von der
vorangegangenen Schlacht gezeichnet war, steckte er den Schlag weg, und mit
blutiger Nase reckte er Grellon stolz das Kinn entgegen.
    „Dein Sohn
hat den Verstand verloren! Er ist der Sohn einer Hexe!“, fauchte er und spuckte
Grellon Blut ins Gesicht. Grellon stürzte sich wie von Sinnen auf ihn, aber
Adalars starke Arme hielten ihn zurück.
    Dorn lachte
höhnisch. „Kein Wunder. Wenn auch der Vater so nah am Wahnsinn spaziert.“
    „Schweig!“,
befahl Adalar und zog Grellon weg, der den Blick fest auf Dorn gerichtet ließ.
Ein Blick, der versprach, dass dies hier nur der Anfang der Geschichte war.
    „Grellon, aus
Respekt vor den Toten bitte ich dich, hör auf!“
    Und Grellon
besann sich. Seine Muskeln entspannten sich, und Adalar ließ ihn

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