Der Sommer der Vergessenen (German Edition)

Driftwood es weiter.
    Socke wollte
etwas erwidern, doch da blieb Driftwood plötzlich stehen. Er stoppte sie mit ausgebreiteten
Armen. „Genau hier!“
    Rolo sah
hier nichts Besonderes. Nur Rasen und Gräber. Aber er wusste ja auch nichts
über Magusch. Socke ging in die Hocke und legte eine Pfote auf den Rasen.
    „Gut“,
pflichtete er bei. Er reichte Rolo Tasche, Brille und Mütze.
    „Was soll
ich machen?“, fragte Rolo und hing sich die Tasche über die Schulter.
    „Was du am
besten kannst. Nichts! Bereit, Freund Socke?“ Driftwood stellte sich
breitbeinig hin und streckte ihm seine langen Arme entgegen.
    „Bereit“, bestätigte
Socke und umfasste sie. „Pass bloß auf, an was du denkst“, mahnte er.
    Driftwood
nickte. Sein unruhig schwingender Schwanz kam zur Ruhe. Sie schlossen die
Augen. Ihre Füße versanken im Boden. Es ging kein Wind, doch ihre Pelze
sträubten sich. Rolo hielt den Atem an. Das Schwarz und Weiß der Albenpelze
mischte sich zu einem hellen Grau, als ihre Arme wuchsen, und sie sich wie
Schlangen umeinander wanden. Bunte Tränen liefen über ihre Wangen. Selbst Socke
sah jetzt für Rolo ein wenig gruselig aus. Die Augen der Alben waren ganz
schwarz und rauchten. Dann warfen sie die Köpfe in den Nacken und riefen wie
mit einer Stimme.
     
    „Lebensspender
Mond und Sonne.
    Eltern aller
Lebenswonne.
    Verzeiht,
doch eure helle Pracht,
    Zuweilen uns
auch Ärger macht.
    Drum bitten
wir, verbrenn uns nicht,
    Das
Nachtvolk scheut dein Angesicht.“
     
    Und während
sie den letzten Satz immer und immer wiederholten, zuckten schwarze Blitze
durch ihre Pelze. Rolo fröstelte. Er bekam eine Gänsehaut, als eine einsame Wolke
die Sonne verdunkelte, und ihr Schatten über sie hinweg zog. Und als würde der
Schatten die maguschen Kräfte der Alben multiplizieren, sprudelten schwarze
Wolken aus ihren Augen. Sie waren schwärzer, als alle Fabrikschlote von
Erzingen es hätten zustande bringen können. Hinauf in den blauen Himmel breiteten
sie sich aus wie ein Atompilz. Der Tag wurde zur Nacht. Dann riss es die Alben
von den Beinen. Es klang wie der Knall einer Peitsche, als sich ihre Arme voneinander
lösten. Socke prallte hart gegen eines der Kreuze und blieb qualmend liegen. Driftwood
überschlug sich, rutschte mit verdrehten Gliedmaßen über den Rasen und kam mit
dem Gesicht im Gras zur Ruhe. Das ferne Grollen eines heranziehenden Gewitters durchbrach
die Stille. Rolo stand da wie angewurzelt.
    „Jungs?
Hallo?“
    Kotze trug
ein großes Ahornblatt auf dem Kopf. Die Ohren ragten aus Löchern, die er hinein
geknabbert hatte. Rolo fragte sich, was das sollte, als ihn der erste Tropfen
traf. Sockes Arme schrumpften gerade wieder auf normale Länge, als er die Augen
aufschlug. Sie waren wieder gelb. Rolo berührte ihn sanft an der Schulter.
    „Alles
Okay?“
    Socke
nickte. Benommen richtete er sich auf. „Ich schau nach ihm.“
    Rolo konnte
Socke inzwischen so manchen Wunsch von den Augen ablesen. Driftwood war
mindestens fünf Meter weit geflogen. Er hatte aufgehört zu qualmen, rührte sich
aber nicht. Rolo drehte ihn auf den Rücken.
    Da riss er die
Augen auf. „Das ist Rock ’n’ Roll!“
    Rolo lachte
und strich dem Alb mit der Hand über den Kopf. Im gleichen Moment öffnete der Himmel
alle Schleusen. Die Regenmassen verwandelten die Wiese innerhalb von Sekunden
in ein Schlammbad.
    „Zum
Wagen!“, rief Rolo, und sie rannten los.
    Socke schloss
zu ihnen auf. „Wir müssen uns noch bei den Elementen bedanken!“
    „Wofür? Für
das Sauwetter?“, japste Driftwood.
    Die Donner
rollten, und Blitze zuckten. Rolo blieb stehen und schaute hinauf. Er war
sowieso schon nass bis auf die Knochen. Einen so dunklen Himmel hatte er noch
nie gesehen. Die Wolken prallten aufeinander wie wütende Stiere. Ein Windstoß schubste
ihn in Richtung Tor, wo die Alben schon die Straße erreicht hatten. Er rannte
weiter. Der Parkplatz hatte sich in einen See verwandelt. Rolo fingerte aufgeregt
mit dem Schlüssel herum. Driftwoods hektische Anfeuerungsrufe machten es ihm
nicht leichter. Endlich bekam er die Tür auf. Sie kletterten eilig hinein. Der
Regen prasselte auf das Dach wie tausend ungeduldig tippelnde Finger. Rolo
wischte sich die nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht.
    „Da habt ihr
aber ein Fass aufgemacht“, staunte er. „Wird das noch schlimmer?“
    „Ich hoffe
doch. Es ist ja noch gar nicht richtig dunkel“, fand Driftwood.
    „Haltet mal
alle kurz still“, bat Socke.
    Sie wurden
von einem