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Der Sommer der Vergessenen (German Edition)

Der Sommer der Vergessenen (German Edition)

Titel: Der Sommer der Vergessenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Grandjean
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warmen Wind erfasst. Schnell war alles trocken. Kotze streifte sich das
Blatt vom Kopf und fraß es auf.
    „Wir haben
den Elementen nicht gedankt“, bemerkte Socke ernst.
    „Ist das
schlimm?“, fragte Rolo und korrigierte den Sitz seiner Frisur durch Wuscheln.
    Socke wiegte
den Kopf hin und her. „Unter Umständen. Damit bannen wir die Magusch, die wir
beschworen, aber nicht verbraucht haben. Wenn wir etwas zurücklassen, weiß man
nie, was passiert.“
    „Komm schon,
Socke. Die Wolken sind aus uns gesprudelt wie aus einem Vulkan. Da gab es nichts
zu bannen.“
    „Meinst du?“
Socke klang nicht überzeugt.
    „Ganz
sicher“, nickte Driftwood.
    Jenseits des
Parkplatzes, auf den vom Gras bewachsenen Grabstätten, wollte die Erde kein
Wasser mehr schlucken. Pfützen, so groß, dass Kotze ein Schlauchboot gebraucht
hätte, um seinen Weg zwischen den Kreuzen zu machen, verbanden sich zu flachen
Tümpeln. Unweit der Stelle, wo die Alben ihre Magusch getan hatten, zuckten
kleine Blitze durch das Gras wie elektrische Entladungen. Sie schienen sich mit
der Strömung des Wassers fortzubewegen. Knisternd kletterten sie die Kreuze
hinauf und verwandelten die Regentropfen zischend in heißen Dampf. Ein Flirren
erfüllte die Luft, als sich viele Blitze am höchsten Punkt eines Kreuzes vereinten
und im Boden verschwanden. Das Kreuz ruckelte und versank langsam in der Erde.
Es ließ ein tiefes Loch zurück, aus dem pfeifend weißer Rauch entwich. Die
Magusch tat, was sie wollte, und heute hatte sie groben Unfug im Sinn. Denn als
der Wind die Rauchfontäne hinfort wehte, bewegte sich etwas im finsteren
Erdreich. Und eine tastende Hand fand ihren Weg an die Oberfläche. Eine Hand,
die schon seit vielen Jahren nichts mehr auf dieser Erde zu suchen hatte. Die
Alben bogen gerade vom Parkplatz auf die Straße, als Kreuz um Kreuz in der
Tiefe verschwand.
     
    Die
Scheibenwischer huschten quietschend über die Scheibe.
    Die feuchte
Luft schluckte das Licht der Scheinwerfer. Aus den Gullys sprudelte Wasser wie
aus Springbrunnen. Die Autos schoben die Wassermassen vor sich her. Es donnerte
so gewaltig, dass Rolo wiederholt zusammenzuckte. Wenn eine starke Böe sie
erfasste, musste er mit aller Kraft gegenlenken, damit es sie nicht von der
Straße fegte. Socke schaute betreten aus dem Fenster. Driftwood schien mit dem
Ergebnis zufrieden.
    „Dunkel
genug?“, fragte er.
    Rolo
verkniff sich die Antwort und konzentrierte sich aufs Fahren. Es war keine
Dunkelheit, wie sie bei Nacht über dem Land lag. Es war wie die schmutzige,
monochrome Einfärbung alter Fotos, die man auf dem Dachboden fand. In den
kurzen Augenblicken, in denen Blitze die Nacht erhellten, sah er, dass die sich
auftürmenden Wolken durch den Himmel rollten wie schwarze Lawinen.
    Als sie sich
der Zeche näherten, sah Rolo das Blinken blauer Lichter. Polizei und
Krankenwagen standen auf der Straße und dem Gelände. Ein großes Durcheinander
herrschte. Männer liefen umher und brüllten. Eine kleine Gruppe von Bergleuten
stand unter dem Vordach des Pförtnerhäuschens. Sie hatten Wolldecken über den
Schultern und dampfende Becher in den Händen. Rolo schämte sich. Das waren
brave Männer, die hart für das Auskommen ihrer Familie arbeiteten. Erst jetzt
bekam er eine Ahnung, in welchen Zwiespalt ihn die bevorstehenden Aufgaben noch
bringen würden.
    „Au weh“,
bemerkte auch Socke.
    „Ganz
ruhig“, meinte Driftwood. „Vielleicht hat sich nur jemand den Kopf
angeschlagen.“
    „Das kann ich
leicht herausfinden.“ Rolo fuhr den Wagen an den Straßenrand und stieg aus. So
schnell er konnte, lief er durch den Regen. Die Männer traten beiseite, als sie
ihn kommen sahen, damit er Platz unter dem Dach fand. Rolo wartete, bis der Donner
verhallt war.
    „Glückauf“.
Er wusste, dass das der traditionelle Gruß unter Bergleuten war.
    „Glückauf“,
murmelten die Männer.
    Rolo sah
ihre besorgten Mienen.
    „Können Sie
mir sagen, was hier los ist?“, fragte er den Bergmann, der ihm am nächsten
stand. Er war schmal und groß, und sein Gesicht war voll mit Kohlenstaub, der
sich mit dem Regen in eine Art verunglückte Kriegsbemalung verwandelt hatte. Er
nippte an seinem Tee, bevor er sprach. „Grubenwasser. Wie aus dem Nichts schoss
es in den Stollen. Muss dieser verfluchte Regen sein. Ist doch nicht normal,
wenn du mich fragst.“ Er lüftete den Helm und schaute unter dem Dach hervor in
den Himmel. „Arbeitet dein Vater hier, mein Junge?“
    Rolo
schüttelte den

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