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Der Sommer der Vergessenen (German Edition)

Der Sommer der Vergessenen (German Edition)

Titel: Der Sommer der Vergessenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Grandjean
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das erste Schuljahr hinter sich gebracht.
Somit ist er gerade im Rang eines Findlings. Aber er hat sich bei allen
Gelegenheiten großartig hervorgetan. Aber das wundert niemanden. Kjeirs Vater
ist einer der Neolinga. Wie war noch gleich sein Name?“
    „Dorn“, sagte Kjeir. „Dorn von Duular“.
    Ein Anflug von Unbehagen veränderte Hwarfs Miene. „Ach
ja. Ich wieder. Die Familie von Duular lebt in Neunseen seit ewig und drei
Tagen. Kjeir, in welcher Generation lebt deine Familie hier?“
    „In der 27. Generation.“ Kjeirs Stimme troff vor
Stolz.
    Rolo war genervt. „Da seid ihr aber nicht besonders
rumgekommen, wenn deine Familie schon so lange in diesem Nest hockt“, stichelte
er.
    Kjeirs Miene verfinsterte sich. Seine Stimme war ein
eisiger Hauch. „Nest? In diesem Ort haben sich Geschichten abgespielt, von
denen du nicht die leiseste Ahnung hast, Stadtkind.“
    „Stadtkind?“ Rolo lachte überheblich. „Bei mir zuhause
wäre dir ein Platz in der Mädchenvolleyballmannschaft sicher.“ Kjeir ging einen
Schritt auf Rolo zu. „Meine Familie hat Ozeane bereist, von denen du noch nicht
mal gehört hast, Stadtkind. Und wenn du irgendein Problem mit mir hast, können
wir das gleich hier und jetzt klären.“
    „Ich schlage keine Mädchen“, erwiderte Rolo und reckte
Kjeir das Kinn entgegen.
    Paps umfasste von hinten Rolos Nacken. „Jungs, jetzt
ist es aber genug. Wir hatten eine lange Reise. Tut mir leid. Und meinem Sohn
tut es auch leid.“
    Er schüttelte Rolo. Rolos Blick jedoch verriet, dass
es ihm nicht im Geringsten leidtat. Kjeir griff zu seinem Bogen. Hwarf fuhr
dazwischen.
    „Jetzt schlägt es aber dreizehn! Dass du hier Wache
schieben darfst, verdankst du nur deinen guten Leistungen und der Fürsprache deines
Vaters. Aber wir haben uns wohl getäuscht. Offensichtlich hast du noch lange
nicht die Reife, die ein Mitglied der Nachtwehr mitbringen muss. Diese
kindische Prahlerei. Du benimmst dich wie ein Gockel. Ich bin wirklich
enttäuscht. Gib mir den Bogen!“
    „Aber Meister Hwarf“, stammelte Kjeir.
    „Gib mir den Bogen!“, beharrte Hwarf.
    Kjeir nahm den Bogen von der Schulter. Die Wut stand
ihm ins Gesicht geschrieben. „Dafür wird mein Vater dich …“
    „Dein Vater wird mich was?“ Hwarf baute sich vor Kjeir
auf, die massigen Arme in die Hüften gestemmt. „Überhaupt nichts wird er. Schämen
wird er sich für dein Verhalten!“
    „Aber Hwarf“, versuchte Rolo zu schlichten. „Ich
wollte nicht …“
    „Nein“, winkte Hwarf ab, „das tut jetzt nichts zur
Sache. Von einem Nachtwehrer kann und muss ich mehr erwarten.“ Und dann brach
er Kjeirs Bogen über dem Knie entzwei und ließ die Teile in den Straßenstaub
fallen. „So. Ich denke, alles Weitere werden wir in der Schule besprechen. Für
heute ist dein Dienst beendet. Geh zum Fest, wie alle anderen auch.“
    Kjeir hob den zerbrochenen Bogen auf. Hasserfüllt blickte
er erst zu Hwarf, dann zu Rolo.
    “Du!“, keuchte er. „Du!“ Er warf die Bruchstücke
seines Bogens nach Rolo.
    „Kjeir!“, brüllte Hwarf, „jetzt ist es aber genug!“
    Doch Kjeir hörte nicht. Er drehte sich um und rannte
durch das Stadttor davon.
    Hwarf schaute ihm kopfschüttelnd hinterher. „So ein
Heißsporn. Ich befürchte, er ist ganz der Vater.“ Er zuckte mit den Schultern.
„Genug davon. Es tut mir wirklich leid, dass es dazu kam.“
    Paps wollte etwas sagen, doch Hwarf fuchtelte mit der
Bärentatze vor seiner Nase herum. „Nein, papperlapapp, genug davon. Wir gehen
jetzt feiern. Außerdem wollt ihr doch bestimmt endlich eure Tante begrüßen.“
    Paps seufzte. Rolo war ein wenig erschrocken. Er
schaute auf den zerbrochenen Bogen. Wenn hier jeder eine Waffe zückt, wenn man
sich streitet, werden das aufregende Ferien, dachte er.
    „Kompanie Blutgut hier lang“, rief Hwarf. Schon
marschierte er lachend los.
    „Und wer hat jetzt das Kommando?“, flüsterte Rolo
seinem Vater zu. Der zuckte nur mit den Schultern.
    „Nicht trödeln“, rief Hwarf.
    Die Blutguts nahmen ihr Gepäck und folgten ihm. Die
Straße war leicht abschüssig. Rolo musste aufpassen, dass er nicht über das
unebene Kopfsteinpflaster stolperte. Er schielte neugierig um jede Ecke. Die Stadt
war wie ausgestorben. Von Weitem hörten sie Stimmgewirr. Hwarf marschierte
stramm vornweg und beschleunigte seinen Schritt.
    „Kommt, ihr Blutguts. Ich habe Durst.“
    Sie bogen in eine Straße, wo die Häuser weniger hoch
waren. Dafür hatten sie lange Schornsteine und große

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