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Der Sommer der Vergessenen (German Edition)

Der Sommer der Vergessenen (German Edition)

Titel: Der Sommer der Vergessenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Grandjean
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Schaufenster. Über den
Türen waren Schilder aus Holz oder Messing angebracht, die den Namen und das
Gewerbe des Handwerkers angaben. Liebend gern hätte Rolo sich die Auslagen in
den Fenstern angeschaut. Doch er musste sich beeilen, um den Anschluss nicht zu
verlieren.
    „Das geschäftige Viertel ist heute dicht“, rief Hwarf.
„Weiter!“
    Sie bogen um eine weitere Ecke. Hier führte eine
breite Allee hinab zum See. Der Hafen schien voll mit Menschen. Jetzt beeilte
sich Rolo auch. Die Straße war von Fahnen und Wimpeln gesäumt, die von Haus zu
Haus gespannt waren. Die Blutguts hörten Musik, als sie sich dem Festplatz näherten.
Der Klang von Fiedeln, Flöten und Trommeln wehte ihnen entgegen. Sie verfielen
in einen leichten Trab. Dann öffnete sich der Platz vor ihnen. Zahllose Marktstände
waren mit Fackeln und Lampions dekoriert. Lauthals priesen die Verkäufer ihre
Waren an. Töpferwaren, Schnitzkunst und allerlei Handwerkszeug. Zur Seeseite
offen, begrenzten prächtige Häuser den Platz stadteinwärts. Aus den hohen Fenstern
schauten die Bewohner über das Getümmel, während in den Erdgeschossen Schenken
oder Cafés lagen. Geschickt jonglierten die Kellner riesige Tabletts zwischen
den voll besetzten Tischen. Auf verschiedenen Bühnen wurde musiziert oder
gezaubert. Die Leute tanzten ausgelassen und klatschten im Takt der Musik. In
den Bäumen kletterten Kinder wie übermütige Affen herum. Aber das
Sehenswerteste waren in Rolos Augen die Neunseener selbst. Zwar trug außer
Hwarf niemand ein Bärenkostüm, trotzdem war er sich nicht sicher, ob sie nicht
doch verkleidet waren. Die Frauen trugen wallende Kleider mit Spitzen und
Rüschen, dazu riesige Hüte mit Schleiern und Federn. Ihre Begleiter waren mit
Anzügen und Zylindern ausstaffiert. Alle waren bewaffnet. Krummsäbel und lange
Messer steckten in Halftern, die am Gürtel getragen wurden. Viele musterten die
Blutguts neugierig, schauten aber schnell weg, wenn sie ihren Blicken
begegneten.
    Ihr könnt mich ruhig angucken, dachte Rolo. Ich bin es
nicht, der hier bekloppt aussieht.Andere waren nicht weniger altmodisch
gekleidet, schienen aber einer weiter entfernten Zeit entsprungen. Bärtige
Männer mit spitzen Hüten und wallenden Roben in giftigen Farbtönen. Willkommen
am Hof von König Arthur, oder was?, dachte Rolo. So wunderte es ihn auch kaum
noch, als in einiger Entfernung Männer über den Platz marschierten, die
wirklich wie Ritter aussahen. Dunkle, enge Lederrüstungen. Dazu passende
Stiefel mit großen Schnallen aus Messing. Die fand Rolo sehr lässig. Hwarf
drängelte sich durch die Menge zu ihnen. Er reichte beiden einen hölzernen
Becher. Paps schnupperte vorsichtig an dem Getränk. Es roch sehr vergoren.
    „Eigentlich ist Rolo noch zu jung für …“
    „Prost“, rief Hwarf und erhob den Becher.
    „Prost“, lachte Rolo und nippte vorsichtig.
    Paps seufzte. „Bitte, Rolo, trink langsam.“
    „Hwarf, wieso bist du der Einzige hier in einem Bärenkostüm?“,
wollte Rolo wissen.
    „Bär?“, lachte Hwarf. „Junge, wo du herkommst, gibt es
echt keine Schulen, was? Ich bin doch kein Bär. Ich bin ein Nachtalb. Damit
erinnere ich an die Vertreibung der Nachtalben aus unserer Stadt.“
    „Nachtalben?“, hakte Rolo nach.
    Doch Hwarf war abgelenkt. „Kommt mit, ich muss euch
ein paar Leuten vorstellen.“
    Sie folgten ihm durch das Gedränge zu einem Tisch.
    „Darf ich vorstellen: Lana, Tinka, Hallimasch und Onno.“
    Lana, Tinka und Onno schienen in Rolos Alter. Lana und
Tinka waren unübersehbar Schwestern. Beide hatten rotes, lockiges Haar und
sommersprossige helle Haut. Ihre Kleider waren luftig und von blattgrüner
Farbe. Onno war ein dicker Junge, der fröhlich grinste. Hallimasch rückte
beiseite und bat die Blutguts, sich zu setzen. Er war ein älterer Herr mit
langem grauen Haar und einem buschigen Vollbart. Er trug einen grünen Samtanzug
und einen schäbigen, sehr hohen Zylinder. Dankbar nahmen Rolo und Paps Platz.
Etwas abseits des fröhlichen Treibens bemerkte Rolo einige Gestalten, die ihn
in Aussehen und Gehabe an Kjeir erinnerten. Ihre Haare waren lang, blond und zu
Zöpfen geflochten. Die Gesichter waren schön, wirkten aber in ihrer
reservierten Art neben den fröhlichen Bewohnern des Ortes etwas steif. Außerdem
irritieren Rolo ihre katzenhaften Bewegungen. Er wollte Hwarf gerade danach
fragen, als plötzlich die Musik verstummte. Nach und nach verebbten die
Gespräche und alle Augen wandten sich zum See. Ein

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