Der Sommer der Vergessenen (German Edition)
irre!“
„Mein
junger Freund. Bitte hör mir zu!“
Sie
richteten ihre Blicke hinauf zum Meister.
„Es mag
dir im Moment sehr herzlos erscheinen, was wir vorhaben. Aber lass mich unseren
Plan erläutern. Als die Magie verschwand, veränderte die Welt sich nicht nur
sichtbar. Und die sichtbaren Veränderungen sind schon schlimm genug. Vieles,
was verloren ging, ist unwiederbringlich fort. Der Verlust der Magie ist, als
würde das Grün der Wälder oder das Blau des Himmels verschwinden. Doch noch
viel schlimmer sind die Veränderungen, die man nicht sehen kann. Auch wenn sich
inzwischen kaum jemand daran erinnert, dass sie einst da war, der Verlust ist
noch spürbar. In jedem Menschen, in jedem Augenblick. Die Welt ist ein
entzauberter Ort. Ich sehe es in den Augen der Menschen. Auch in deinen. Da ist
ein Loch in euren Herzen, das wir füllen wollen. Verstehst du das?“
„Was kümmert
euch das? Ihr lebt doch gar nicht in meiner Welt?“
„Weil ich
die Unzufriedenheit spüre. Das Unglück. Weil ich sehen kann, wie Leben
vergeudet werden. Und weil ich weiß, um wie viel unendlich reicher ein Leben
sein kann.“
Rolo nahm
sich einen Moment, um über das Gehörte nachzudenken. „Werden Menschen sterben,
wenn euer Plan gelingt?“, fragte er.
„Mit
Gewissheit.“
„Und alles
würde sich verändern?“
„Restlos.
Kein Leben würde bleiben, wie es ist.“
„Und dann
würde es wieder Magie geben. Und Werwölfe und Vampire und noch mehr Nachtalben
und wer weiß was sonst noch?“
„Das ist
zumindest sehr wahrscheinlich.“
„Und ihr
glaubt, die Menschen werden dann glücklicher sein als jetzt?“
„Langfristig
schon.“
„Puh“,
machte Rolo.
„Die
Entscheidung, ob wir es versuchen, liegt nicht bei dir, Rolo. Aber wir könnten
deine Hilfe brauchen“, gestand Socke schüchtern.
Rolo schaute
von einem zum anderen. Besonders Socke blickte ihn erwartungsvoll an. Konnte
all das noch verrückter werden? Rolo fuhr sich nachdenklich mit der Hand durch
die strubbeligen Haare, bevor er sprach: „Schauen wir mal ins Buch!“
„Schauen wir
mal ins Buch!“, jubelte Driftwood.
Socke
klatschte begeistert mit den Pfoten. Sie hockten sich nebeneinander auf den
Boden am Fuß der Eibe. Driftwood zog das Buch dicht zu sich heran. Rolo konnte
die Sprache nicht lesen. So wartete er erstmal ab, was geschehen würde.
„Gut“,
ergriff Socke das Wort. „Das ist eine Begrüßung an den Leser. Hier steht, dass
er gleich mit der Geschichte und dem Wissen des Nachtvolkes vertraut gemacht
wird. Und dass es ernsthafte Konsequenzen haben könnte, wenn er darüber zu viel
ausplaudert. Dann steht da noch so was wie Driftwood ist der Größte .“
„Wusste ich
es doch“, lachte Driftwood.
Socke
blätterte um. Hier waren Bilder auf der einen, Text auf der anderen Seite.
„Wer hat die
gezeichnet?“, fragte Rolo.
„Na ich“,
stutzte Driftwood.
„Schön.“
„Danke.“
„Bitte.“
„Ich weiß,
dass sie schön sind.“
„Pst!“,
machte Socke.
Rolo
betrachtete das Bild. Es war wirklich mit großer Kunstfertigkeit gezeichnet.
Ihm fiel es schwer zu glauben, das Driftwood der Künstler war.
„Herrjemine,
ich habe wirklich die Geschichte des Nachtvolkes aufgeschrieben. Was hab ich
mir denn dabei gedacht?“
„Ich
vermute, dass du die Informationen, die wir suchen, irgendwo verschlüsselt
eingestreut hast“, meinte Socke. „Hättet ihr euch sparen können. Niemand kann
diese Sprache noch lesen“, sagte Rolo.
Die Alben
übergingen das. Driftwood schnaubte. „Dann müssen wir das jetzt alles lesen?“
„Zumindest
quer. Und jetzt sei ruhig, ich muss mich konzentrieren“, befahl Socke.
„Könnt ihr
mir denn ein bisschen was erzählen, was da steht?“, bat Rolo, der sich ein
wenig unnütz vorkam.
„Gern. Hier
hat Driftwood sehr schön den Schöpfungsmythos der Nachtalben wiedergegeben.
Siehst du auch auf dem Bild. Sehr detailliert das Ganze. Schau, die ersten
Nachtalben entsteigen dem ersten Schatten. Und das in der ersten Nacht vor dem
ersten Tag.“
„Das heißt,
wir waren vor den Menschen da“, erklärte Driftwood.
„Geholfen
hat’s euch nicht.“ Sofort bereute Rolo seinen Kommentar. „Tut mir leid, Jungs.
War nicht so gemeint.“ „Schwamm drüber. Hast ja recht. Blätter um Socke. Oh,
sieh nur. Das sind unsere Ahnen. Die Ahnen aller Nachtalben. Mahr und Mahra.“
„So was wie
Adam und Eva?“
„Kenn ich
nicht. Hey, meine Zeichnung ist wirklich toll.“ „Pst, hier, das könnte
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