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Der Sommer des Commisario Ricciardi

Der Sommer des Commisario Ricciardi

Titel: Der Sommer des Commisario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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Enricas Hand anhielt. Der Mann war nämlich der Friseurin zufolge, die ihm eines Abends auf der Treppe begegnet war, keineswegs hässlich und, soweit bekannt, auch reich.
    Rosa würde also ein Mittel finden müssen, ihren Luigi dazu zu bewegen, tätig zu werden anstatt wie üblich schweigend abzuwarten. Doch wie sollte sie das bloß anstellen, wo er nicht einmal ein Wort über die Sache hatte verlauten lassen? Dann war da noch etwas: Das Mädchen der Colombos hatte von einer Frau gesprochen, die es mit Ricciardi zusammen gesehen hatte. Es hatte sie als ordinär und schon etwas älter beschrieben, außerdem als zu auffällig gekleidet. Rosa deutete diese Beschreibung so, dasses sich um eine schöne, viel umworbene Frau handeln musste, die teure Kleidung trug und sehr elegant war. Wer war sie?, fragte sich Rosa. Und vor allem, warum war Luigi Alfredo, wenn er mit einer solchen Dame Umgang pflegte, so offensichtlich unglücklich?
     
    Maione saß schwitzend an einem Tisch im Gambrinus und wartete auf Ricciardi. Die Person, die ihm hinter einer unangerührten Kräuterlimonade gegenüber saß, bereitete ihm ein wenig Unbehagen.
    Es geschah nicht oft, dass der Brigadiere sich in Gegenwart eines Verdächtigen unwohl fühlte. Zu Vieles hatte er in seinem Leben schon gesehen. Doch er wusste einfach nicht, was er von dem jungen Andrea Capece halten sollte.
    Maione hatte vor der Schule auf ihn gewartet, ihn herauskommen sehen wie die anderen Mädchen und Jungs, die endlich frei von Verpflichtungen in die Sommerhitze hinausschwärmten, einem Samstag entgegen, der Vergnügen und Erholung versprach. Andrea, seine zusammengebundenen Bücher in den Händen, ging neben einem Mädchen, das unentwegt auf ihn einredete. Wieder ein-mal wusste Maione das Feingefühl seines Vorgesetzten zu schätzen, der ihn aufgefordert hatte, sich in Zivil zu kleiden, um dem jungen Mann den Klatsch der Schulkameraden zu ersparen. Er war Andrea also entgegengegangen und hatte ihn leicht am Arm berührt, um ihn auf sich aufmerksam zu machen. Sogleich merkte er, dass der Junge ihn erkannt hatte, und versuchte auszumachen, was in dessen Blick, in seiner Miene vor sich ging, suchte nach den üblichen Anzeichen von Angst und Überraschung, wie bei einem Tier in der Falle. Doch er hatte nichts dergleichen gesehen.
    Stattdessen sah der Brigadiere, wie Lächeln und Unbeschwertheit einer tiefen Traurigkeit wichen, vertraut und schmerzhaft wie die eines Erwachsenen, und auch das Aufblitzen von etwas wie Stolz. Nicht einmal eine Spur von Reue oder auch nur Bedauern. Der traurige Blick des Jungen hatte das Päckchen aus Zeitungspapier gestreift, und seine Schultern hatten sich unmerklich gekrümmt unter der Last dessen, was nun geschehen würde. Er hatte sich per Handzeichen von dem Mädchen verabschiedet, das Maione zunickte, da es ihn für einen Verwandten hielt, und lächelnd davonging.
    Auf dem Weg hatten sie beide geschwiegen; der Erwachsene wusste nicht, was er sagen sollte, der Junge wollte nicht reden. Sie waren, wie mit dem Kommissar ausgemacht, ins Gambrinus gekommen und hatten sich an ein Tischchen gesetzt. Maione hatte Andrea gefragt, was er trinken wolle, doch der hatte mit einem melancholischen Lächeln den Kopf geschüttelt. Der Brigadiere hatte daraufhin einen Kaffee und eine Kräuterlimonade bestellt, die der Junge noch nicht angerührt hatte, und jetzt warteten sie auf Ricciardi, weil dieser Andrea nicht im Präsidium hatte empfangen wollen.
    Maione war sich nicht sicher, ob er der Vernehmung beiwohnen wollte. Er hatte einen Sohn im selben Alter – nun, nach Lucas Tod, sein Ältester – und war der Ansicht, dass man mit sechzehn nicht so traurig aussehen dürfe.

    XXXIX    Ricciardi machte sich auf den Weg ins Gambrinus. Er war sicher, dass sein bevorstehendes Gespräch mit Capeces Sohn zur Aufklärung des Mordes an der Herzogin führen würde. Während er nun, gesenkten Blicks und die Hände tief in den Taschen vergraben, durch die quirlige Stadt lief, dachte er auch über sich selbst nach und über bestimmte Gefühle, die ihm bis vor wenigen Wochen noch unbekannt gewesen waren.
    Garzo, sein Vorgesetzter, der keine Gelegenheit ausließ, um seine Unfähigkeit unter Beweis zu stellen, vertrat gewöhnlich eine Auffassung, die Ricciardi stets als besonders albern empfunden hatte: Er sagte, um den Gedankengängen eines Kriminellen folgen zu können, müsse man in gewisser Weise wie jener denken und folglich zumindest ein klein wenig

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