Der Sommer des Commisario Ricciardi
dich damit ab, dass du mich nicht so leicht loswerden wirst.«
Mit diesen Worten verließ sie sein Büro. Durch die offene Tür sah Ricciardi, wie ein Rechtsanwalt ihr gebannt nachschaute, dabei stolperte und in einen Berg von Akten und Unterlagen fiel.
XXXVIII Sofia Capece war der Ansicht, dass ihr Mann sich damit abfinden müsse: Er würde nicht so leicht von ihr loskommen.
Sie war in der Nacht immer wieder aufgestanden, um ihn beim Schlafen auf der Wohnzimmercouch zu betrachten. Zwar war es nicht dasselbe, wie ihn wieder bei sich im Bett zu haben, doch sie verstand sich aufs Warten; schließlich hatte sie nun schon so lange gewartet, da konnten die paar Tage, bis das Leben wieder normal werden würde, sie nicht schrecken. Denn davon war Sofia überzeugt: Es war nur eine Frage der Zeit.
Marios Schlaf war sehr unruhig gewesen, er hatte vor sich hin gebrummelt, sich gedreht, geseufzt. Irgendwann war es ihr sogar so vorgekommen, als ob er weinte. Ihrer Ansicht nach war das ein gutes Zeichen; es bedeutete, dass er sich quälte, einen inneren Kampf ausfocht, aus dem sie, Sofia, ganz sicher als Siegerin hervorgehen würde. Die andere war schließlich tot. Es gab sie nicht mehr.
Zwar hatte sie sich eine solche Lösung nicht unbedingt gewünscht. Viele Male hatte sie davon geträumt, dass ihrMann, von aller Hexerei befreit und wieder zur Vernunft gekommen, aus freien Stücken nach Hause zurückkehren und sie für das, was er getan hatte, zerknirscht um Verzeihung bitten würde. In ihrer Vorstellung sah sie sich nachgiebig und sanft wie immer, bereit, ihn wieder bei sich aufzunehmen, um ihm die häusliche Wärme zu bieten, die er vielleicht schon vergessen hatte und sicher vermisste, auch wenn er es nicht zugeben wollte. Sie war schließlich immer noch seine Frau. Hatte vor Gott geschworen, ihn ein Leben lang zu lieben und zu ehren.
Sofia lächelte, während sie das Kissen aufschüttelte und es auf dem Sofa zurechtrückte. Mario hatte die Wohnung vor Sonnenaufgang verlassen; sie hatte seine Schritte im Treppenhaus und dann auf der Straße gehört. Doch er würde zurückkommen, das spürte sie. Wohin hätte er auch gehen sollen? Das hier war sein Zuhause, seine Familie. Ihr Sohn kam zu ihr, um sie zu küssen und sich zu verabschieden, er ging in die Schule zum Sommervorbereitungskurs. Jeder Vater wäre auf einen solchen Jungen stolz gewesen. Sofia fand außerdem, dass Andrea ihm immer ähnlicher wurde – ein Grund mehr für Mario zurückzukehren. Sie ermahnte den Sohn, bald nach Hause zu kommen, weil sein Vater vielleicht zum Mittagessen da sein würde.
Dann drehte sie sich um und ging in die Küche, und so sah sie nicht, wie Andrea das Gesicht verzog. Es war auch besser so, denn der unbändige Hass darin hätte ihr Angst gemacht.
Maione hatte sich ein Plätzchen im Schatten eines Hauseingangs gesucht, direkt gegenüber der Stelle, wo derKommissar ihn hinzugehen geheißen hatte. Die Hitze war mörderisch: Innen in der Eingangshalle ging auch nicht das kleinste Lüftchen, draußen war die Sonne unerträglich. Daher hatte sich der Brigadiere – in Zivilkleidung, wie angeordnet – genau in die Haustür gestellt. Mit seinem Hut fächelte er sich Luft zu, fuhr sich hin und wieder mit dem Taschentuch über die Stirn und zog alle paar Minuten seine Uhr aus der Tasche, nur um festzustellen, dass die Zeit mit außerordentlicher Langsamkeit verstrich. Auch die wird von der Hitze gebremst, dachte er.
Nicht weit von ihm stand ein Eiswagen. Offensichtlich hatte der Verkäufer es für vernünftiger gehalten, sich hier aufzustellen als in der nahe gelegenen Villa Nazionale, wo die Konkurrenz stärker war. Schon bald würde es von Kindern nur so wimmeln; die meisten von ihnen stammten aus wohlhabenden Familien, hatten folglich genug Geld in der Tasche und würden sehr großen Hunger haben.
Nicht, dass Maione weniger hungrig gewesen wäre. Mindestens zehn Mal schon hatte er die Hand in die Tasche gesteckt, um aus seinem Geldbeutel die paar Münzen für ein leckeres, erfrischendes Eis in der Tüte zu holen, das er ruck, zuck! verputzt hätte. Aber er war – trotz Zivilkleidung – schließlich hier, um zu arbeiten, und wollte keine Ablenkungen. Jedes Mal, wenn er Hunger hatte und ans Essen dachte, erschien vor seinen Augen außerdem das Bild des Gemüsehändlers Ciruzzo, gertenschlank und lächelnd, und er hörte Lucia sagen, wie gut er doch in Form sei, obwohl er genauso alt war wie Raffaele. Na und, was hat das mit
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