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Der Sommer des Commisario Ricciardi

Der Sommer des Commisario Ricciardi

Titel: Der Sommer des Commisario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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Gesprächspartner je ins Gesicht zu schauen, was Ricciardi entsetzlich auf die Nerven ging.
    »Guten Abend, Commissario. Sie waren heute Morgen im Einsatz, wie ich hörte – ein Mord, nicht wahr?«
    Dabei sah er zur Tür, zum Boden, weiter zur Decke.
    »Ponte, Sie wissen doch genau, wo ich war und warum, stellen Sie sich also nicht ahnungslos. Ich habe heute Morgen eine entsprechende Nachricht hinterlassen und war den ganzen Tag über zu erreichen.«
    Der Amtsdiener fixierte das Treppengeländer.
    »Sicher, Commissario, Sie haben recht. Doktor Garzo hat angerufen, er hieß mich, Ihnen mitzuteilen, dass er morgen früh als Erstes mit Ihnen sprechen möchte.«
    Ricciardi verzog das Gesicht.
    »Ach ja, natürlich. Eine tote Herzogin und schon gerät die Führungsetage in Bewegung. Sag Doktor Garzo, dass ich morgen früh wie üblich im Büro sein werde. Genau wie der Rest der Kollegen, falls er die Ermittlungen jemand anderem übertragen möchte.«
    Ponte starrte derart angestrengt den Korridor entlang, dass Ricciardi schon dachte, er sehe ebenfalls das Abbild des toten Polizisten mit dem Dieb.
    »Wie kommen Sie nur darauf, Commissario, daran denkt der Vizepräsident nicht im Mindesten. Er weiß, dass niemand hier so fähig ist wie Sie. Nur mit Ihnen reden möchte er.«
    »Das wird er. Guten Abend.«
     
    Ricciardi war auf dem Heimweg; auch nach Sonnenuntergang gönnte die Hitze der Stadt keine Verschnaufpause. In den Sommermonaten zeigte die Via Toledo sonntagabends ein anderes Gesicht als sonst: Die Familien kamen aus ihren unerträglich heißen und schwülen Kellerwohnungen hervor auf die Straße, um nicht zu ersticken. Die Alten saßen auf den Stühlen, die sie sich herausgetragen hatten, und die Jungen machten es sich auf Holzkisten bequem, plauderten oder spielten Karten, um sich bis spät in die Nacht hinein die Zeit zu vertreiben. Aus den Fenstern der oberen Stockwerke klang Tanzmusik aus den Radios, in die sich das Lachen der Kinder und der ein oder andere Streit mischten.
    Ricciardi musste an die letzten Worte der Herzogin denken:
    »Der Ring, der Ring, du hast den Ring weggenommen.«
    An wen waren sie gerichtet? Wahrscheinlich an den Mörder. Doch Ricciardi hatte oft auch schon Sätze gehört, die für jemand anderen bestimmt waren, manchmal war diese Person im Augenblick des Todes anwesend gewesen, manchmal auch nicht. Welcher Ring? Der, den die Herzogin am Mittelfinger getragen hatte und der nach ihrem Tod entfernt worden war? Hatte sie bei ihrem letzten Atemzug die Person gesehen, die ihn an sich nehmen würde? Oder meinte sie den Ring an ihrem anderen Finger mit dem blauen Fleck, der belegte, dass die Frau noch lebte, als man ihn ihr wegnahm?
    Doch ganz egal, um welchen der beiden es sich nun handelte, dem Ring musste ganz offensichtlich eine besondere Bedeutung zukommen, da kein anderer der zahlreichen Wertgegenstände verschwunden war. Irgendetwas sagte Ricciardi, dass er mit dem Ring auch den Mörder finden würde. Ein Verbrechen aus Leidenschaft also.
    Aus den Augenwinkeln sah der Kommissar ein junges Mädchen mit einem Mann in einem Hauseingang verschwinden. Die Liebe, dachte er. Seine Gedanken wanderten zu Enrica. Über ein Jahr lang war sie für ihn nur ein Bild in der Ferne, nicht mehr und nicht weniger als ein Vermeer-Porträt gewesen, ein Stück greifbarer und doch unerreichbarer Normalität. Ihr beim Sticken und Spülen zuzusehen, die besonnenen, präzisen Bewegungen ihrer linken Hand zu beobachten, war ein abendliches Schauspiel, auf das er um keinen Preis verzichtet hätte. Es war gut so gewesen: Auf diese Weise war sie sicher vor ihm und seiner Gabe, seinem Fluch, geschützt durch zwei Glasscheiben.
    Dann im Frühling, bei einem Zeugenverhör im Zuge seiner Ermittlungen in einem Mordfall, hatte sie plötzlich vor ihm gestanden. Und das Bild in der Ferne, die Normalität hinter dem Fenster, das Vermeer-Porträt waren zu einer Person aus Fleisch und Blut geworden, einer durchaus konkreten Frau. Er hätte nicht sagen können, ob es ihm vorher besser ergangen war: Als Enrica nur ein Nameund Abbild eines fremden Lebens gewesen war, hatte seine Einsamkeit noch einen anderen Geschmack gehabt. Jetzt, da er jeden Abend die Hand hob, um sie zu grüßen, und sie seinen Gruß mit einem leichten Nicken erwiderte, fühlte er sich, als stünde er am Rande eines Abgrunds, in den er jeden Moment hineinstürzen konnte.
    Darauf verzichten wollte er allerdings auch nicht.
    Heute hatte sein Gedächtnis ihm

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