Der Sommer des Commisario Ricciardi
Dinge zu bringen, im Übrigen sind wir ja noch nicht weit gekommen.«
Garzo schien verwirrt.
»Was sagen Sie da, Ricciardi? Ich denke nicht im Traum daran, einem anderen die Ermittlungen zu übergeben. Sie sind unser bester Mann, das wissen wir beide nur zu gut.«
»Vielen Dank, Dottore. Aber leider bin ich auch sehr undiplomatisch. Außerdem mangelt es mir an der nötigen Ehrerbietigkeit. Ich würde nur ungern Ihre Anweisungen missachten, unabsichtlich, versteht sich.«
Garzo ging auf den Kommissar zu.
»Kommt gar nicht in Frage, Ricciardi. Es ist unerlässlich, dass der Schuldige gefunden wird, und zwar bald. Sehr bald, verstehen Sie? Eine Adlige, eine Dame aus bester Gesellschaft kann nicht einfach so in ihrem Haus ermordet werden. Nicht in einer sicheren Stadt wie dieser – und im Übrigen auch allen anderen Städten des faschistischen Italiens. Der Schuldige, sicherlich ein Verrückter, ein Irrer, ist umgehend der Justiz zu übergeben.«
»Wo ist dann also das Problem? Wir führen die Ermittlungen planmäßig weiter und werden wie üblich unser Bestes tun.«
Garzo fuhr sich mit der Hand durch die Haare.
»Die Herzogin … nun, Ricciardi: Die Herzogin Musso di Camparino hatte eine Affäre. Seit Jahren war sie mit einem Mann zusammen. Es war allgemein bekannt, alle wussten davon.«
Ricciardi war stehen geblieben, um deutlich zu machen, dass noch nicht sicher war, ob die Ermittlungen ihn nun etwas angingen oder nicht.
»Wenn es allgemein bekannt war, wie Sie sagen, sollte dann nicht auch ich es wissen?«
»Das Problem ist dieser Mann. Es handelt sich um Mario Capece, den Chefredakteur des Lokalteils des Roma .Den Kerl, der keine Gelegenheit auslässt, um uns ans Kreuz zu schlagen, auch nicht nach den Anordnungen des Innenministers zur Presse im Faschismus. Verstehen Sie jetzt?«
Ricciardi verstand. Die Lage war für Garzo wirklich heikel. Entweder sie ermittelten, um den Schuldigen zu finden, und traten dabei unweigerlich der feindlichen Presse auf die Füße, oder sie saßen es aus und liefen Gefahr, öffentlich ihre Unfähigkeit zu bekennen, wenn sie den Verantwortlichen in einem so aufsehenerregenden Mordfall nicht fanden. Garzo, und das ehrte ihn in gewisser Weise, hatte es vorgezogen, den Mörder zu finden. Oder es zumindest zu versuchen.
»Das Verhältnis der beiden zueinander war nicht einfach. Die Herzogin war, nun ja, ein wenig … unbeständig. Sie feierte gern, tanzte, ließ sich Komplimente machen. Sich umwerben. Vor fünfzig Jahren noch hätte sich Capece – und wenn er gesund gewesen wäre, auch der Herzog – täglich duellieren müssen. In heutiger Zeit allerdings bestand die einzige Gegenwehr in Streit und unzähligen öffentlichen Szenen.«
»Und woher, wenn ich fragen darf, wissen Sie das alles?«
Garzo schien die ungehörige Frage nicht zu kränken.
»Das wissen alle, die regelmäßig ins Theater gehen. Der letzte Streit war gerade erst am Samstagabend, im Salone Margherita.«
»Was war das für ein Streit?«
Jetzt war Garzo ein wenig in Bedrängnis. Einerseits wollte er die Sache nicht aufbauschen, andererseits aber keine Details verschweigen, die unter Umständen wichtig waren.
»Ich glaube, ein Zank aus Eifersucht. Capece beschuldigte die Herzogin … einen jungen Mann zu beobachten, den Begleiter der Signora De Matteis, einer Frau, die … egal, das tut nichts zur Sache. Sie begannen, sich gegenseitig alte Geschichten vorzuwerfen, Dinge aus der Vergangenheit. Und dann hat er sie geohrfeigt. Wir waren bestürzt. Gleich darauf packte er ihre Hand und zog den Ring davon ab, schrie sie an …«
Ricciardi hatte sich vorgebeugt und unterbrach Garzo durch ein Handzeichen.
»Wie das? Er nahm ihr einen Ring weg? Was schrie er?«
Garzo war verwirrt.
»Ich erinnere mich nicht mehr. Ich glaube ein Schimpfwort, die Bezeichnung für eine Frau, die man der Untreue bezichtigt. Und er sagte zu ihr, dass sie weder Liebe verdiene noch den Ring.«
»Erinnern Sie sich daran, von welcher Hand er den Ring nahm? Es ist wichtig.«
Garzo spielte Capeces Bewegung nach, um die Position der Herzogin zu rekonstruieren.
»Von der linken, meine ich. Ja, von der linken. Warum, ist das wichtig?«
Ricciardi hatte die Augen halb geschlossen. Vor sich sah er das Bild der toten Frau, wie sie dastand, mit herabhängenden Armen.
»Der Ring, der Ring, du hast den Ring weggenommen.«
»Könnte sein, ja, es könnte wichtig sein. Und dann, was geschah dann?«
»Dann ist er gegangen, ohne sich von
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